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Deutschland wählt

Am 22. September wird der 18. Deutsche Bundestag gewählt. Ein Überblick über Parteien und Positionen.

Karl-Rudolf Korte, 28.08.2013
Deutscher Bundestag
© Ulrich Baumgarten via Getty Images - Bundestag

Am 22. September 2013 findet 
in Deutschland die Wahl zum 
18. Deutschen Bundestag statt. In der aktuellen Legislaturperiode regiert eine unionsgeführte Bundesregierung unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Partner FDP seit 2009. Die Arbeit dieser schwarz-gelben Regierung wird von Beginn an von der europäischen Finanzkrise begleitet, die auch die innenpolitische Arbeit beider Koalitionspartner maßgeblich determiniert. Neben der „Rettung des Euro“ machte Merkel insbesondere die Energiewende zu einem zentralen Thema ihrer Kanzlerschaft. Nachdem 2010 zunächst eine Laufzeitverlängerung einiger Atomkraftwerke verabschiedet wurde, führte die Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 zu einem energiepolitischen Umdenken. Seit diesem Zeitpunkt wird der Umbau der deutschen Energieversorgung zugunsten erneuerbarer Energien unter dem Begriff „Energiewende“ forciert.

Im aktuellen Wahlkampf spielt dieses Thema jedoch eher eine untergeordnete Rolle. Bei den etablierten Parteien dominieren eher Fragen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sowie der Finanz- und Steuerpolitik. Besonders sieht man dies an der zentralen Ausein­andersetzung um einen Mindestlohn: So 
fordert die SPD in ihrem Wahlprogramm einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, die Unionsparteien CDU/CSU und die FDP hingegen eine sogenannte Lohnuntergrenze, bei der die Tarifpartner der verschiedenen Branchen den untersten Entgeltbetrag aushandeln.

Beim Thema Europa stehen die Parteien weitgehend im Konsens und treten für die europäische Integration ein. Auch in der Frage der Zukunft der Gemeinschaftswährung Euro herrscht weitgehend Einigkeit. Ein Parteienwettbewerb im Sinne polarisierender Positionen findet beim Thema Europa jedenfalls nicht statt.

Die Lösungsstrategien der politischen Lager unterscheiden sich zwar in einer Vielzahl von Themen, aber häufig nur in Nuancen, sodass ein polarisierender Wahlkampf nicht immer zu realisieren ist. Dabei spielen in Deutschland politische Inhalte eine größere Rolle als eine extreme Personalisierung. Dies hängt zum einen mit komplexen Problemen in einer differenzierten modernen Gesellschaft zusammen, die nicht einfach zu lösen sind, und zum anderen mit der Notwendigkeit, Koalitionen zu bilden – vielleicht sogar zwischen drei Partnern. Die Schubkraft für deutlich verschiedene, programmatisch unterfütterte Wahlversprechen wird dadurch merkbar vermindert.

Trotz dieses Befunds lassen sich im deutschen Parteiensystem insgesamt Unterschiede in den jeweiligen parteipolitischen Prioritäten entlang der Konfliktlinien Freiheit und Sicherheit sowie Markt und Umverteilung erkennen. Traditionell fokussieren sich die Unionsparteien programmatisch auf die Soziale Marktwirtschaft und betonen in diesem Zusammenhang die Verbindung einer privatwirtschaftlichen Ordnung mit sozialem Ausgleich sowie die starke Förderung von Familien. Als momentan stärkste Fraktion im deutschen Bundestag tritt die CDU/CSU mit der in der deutschen Bevölkerung beliebten Kanzlerin Angela Merkel an, um die bisherige Bundesregierung fortzuführen. Die SPD mit Spitzenkandidat Peer Steinbrück, der als Finanzminister zur Zeit der großen Koalition von 2005 bis 2009 mit Angela Merkel zusammenarbeitete, setzt zuvorderst auf die Themen Mindestlohn und soziale Gerechtigkeit. Mit den zwei Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt tritt die dritte politische Kraft Bündnis 90/Die Grünen, neben den traditionellen Themen Umwelt- und Naturschutz, mit der Anhebung des Spitzensteuersatzes an.

Nach Umfragewerten aus dem Frühjahr ist für die bisher im Bundestag vertretenen Parteien FDP und Die Linke der Wiedereinzug in das Parlament noch nicht sicher. Das Wahlrecht sieht das Überspringen einer Fünf-Prozent-Hürde vor. Somit wird einer Zersplitterung des Parteiensystems entgegengewirkt. Schafft die FDP die Hürde nicht, könnte dies einen Regierungswechsel zu Rot-Grün (SPD und Grüne) bedeuten.

Grundsätzlich hat jede Wählerin und jeder Wähler zwei Stimmen zu vergeben. 299 Abgeordnete – die Hälfte der 598 Parlamentarier – werden nach relativer Mehrheitswahl direkt in Wahlkreisen gewählt. Diesen Direktmandaten gilt die Erststimme. Die Erststimme macht den „personalisierten“ Teil des Wahlsystems aus, weil der Wähler damit eine bestimmte Person seines Wahlkreises wählt. Mit der Zweitstimme werden Parteien gewählt. Sie entscheidet über die Zusammensetzung des Bundestages. Sie ist eindeutig wichtiger als die Erststimme. Wie viele Sitze eine Partei im Bundestag erhält, hängt allein vom Anteil der Zweitstimmen ab. Das deutsche Wahlsys­tem ist deshalb eindeutig ein Verhältsniswahlrecht. 2013 wirkt sich auch ein neues Wahlgesetz aus, in welcher Form allerdings, ist nicht wirklich vorhersehbar: Kern des vom Bundesverfassungsgericht erzwungenen neuen Bundestagswahlgesetzes ist die Abschaffung des „negativen Stimmeffekts“. Wenn die Richtung der Reform stimmig ist, dann werden die Wählerstimmen erneut gerecht und proportional in Mandate übersetzt. Irrita­tionen könnten auftreten, wenn sich die Anzahl der Mandate deutlich erhöhen sollte.

Im Zentrum des Wahlkampfes steht – neben den zentralen Themen – auch die Koalitionsfrage. In einem asymmetrischen Fünfparteiensystem sind kleine Zweier-Koalitionen weniger verlässlich mehrheitsfähig als noch in der Vergangenheit. Daher haben die Parteien folgende Fragen zu klären: Welche Bündnisse streben wir an, welche schließen wir kategorisch aus? Themen und Personen haben darauf natürlich einen Einfluss. Es ist vor allem das seit 2005 existierende asymmetrische, changierende Fünfparteiensys­tem, das weitreichende Konsequenzen für die Regierungsbildung hat: Jenseits der Großen Koalition sind entlang der tradierten parteipolitischen Lager keine Bündnisse mehr kalkulierbar mehrheitsfähig, wie es jahrzehntelang der Fall war. Die Parteien müssen darauf reagieren und neue Varianten der Regierungsbildung wie lagerübergreifende Koalitionen oder Minderheitsregierungen erproben. Zur Mobilisierung der eigenen Anhänger brauchen das rot-grüne und das schwarz-gelbe Lager abgrenzende Themen. Faktisch müssen sich die Parteien auch eine strategische Offenheit bewahren, um rechnerisch Mehrheiten auch lagerübergreifend möglich zu machen. Zumindest die Parteien in der politischen Mitte sind alle koalitionsfähig in Deutschland. Eine Ausnahme bildet die Linke, mit der es bisher nur in den Bundesländern zu Koalitionsbildungen mit der SPD kam.

Mit der Piratenpartei und der Alternative für Deutschland (AfD) forcieren gleich zwei neue Parteien den Einzug in den Bundestag. Zentrales Anliegen der Piraten ist ein „Update“ der Demokratie unter dem Begriff „Liquid Democracy“. Die AfD, eine aus Eurokritikern hervorgegangene Partei, steht für den Austritt der Südländer aus dem Euro. Ihnen könnte die zunehmende Anzahl von Protestwählern zugutekommen, die auf Länderebene in den letzten Jahren unter anderem zu Wahlerfolgen der Linken und Piraten geführt haben. Wenngleich beide Parteien ihre Wahlsiege nur durch eine ­feste Verankerung in einem spezifischen Milieu aufbauen konnten. Ein Amalgam aus Unzufriedenheit, Gewissheitsschwund, Neugierde und Protest sammelt sich weiterhin – zumal wenn ein Leitthema, wie die Abschaffung des Euro, hervorsticht.

Wer optimal mobilisiert, kann auch Wah­len gewinnen. Das gilt gerade, wenn es um knappe Mehrheiten geht. Ein einziges Mandat könnte auch im Bundestag zur Kanzlerschaft reichen. Welche Regierung sich nach der Wahl formiert, ist bisher unklar. Von klassischen Zweierkoalitionen über eine Große Koalition bis hin zu einem Dreierbündnis scheinen alle Optionen möglich. ▪

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Politikwissenschaftler und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen.