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„Wir können so viel voneinander lernen“

Nadine Didier-Mantovani lernte 1992 während eines Erasmus-Semesters in Italien ihren heutigen Mann kennen – und blieb. Sie weiß, was Europäer voneinander lernen können.

21.03.2017
© Verena Meier - Nadine Didier-Mantovani

„Ich stamme aus Neubokel, einem kleinen Dorf mit nicht einmal 1.000 Einwohnern in der Nähe von Braunschweig in Niedersachsen. Schon früh merkte ich, dass es mich in die Ferne zieht und ich eines Tages im Ausland leben möchte: Fremdsprachen faszinierten mich und ich liebte die Ferien, die wir häufig auf Menorca verbrachten. 

1990 machte ich den ersten Schritt und studierte mit einem Erasmus-Stipendium in Cáceres in Spanien. Eigentlich war Spanien immer ,mein Land‘, doch um mein Italienisch aufzubessern, reiste ich 1992 für ein weiteres Auslandssemester nach Venedig. Und dort lernte ich dann, im Gang vor dem Büro eines Uni-Professors, Fernando Mantovani kennen, einen jungen Mann aus Süditalien. Fernando ist einer dieser Menschen, die selbst Säulen zum Reden bringen, sehr aufgeschlossen, sehr herzlich. Er sprach mich und meinen damaligen Mitbewohner an und redete einfach drauflos – ich habe nicht einmal die Hälfte verstanden. Mein Italienisch war nicht so klasse. Damals gab es noch keine Handys, aber Fernando lud uns ein, ihn doch einmal in dem Plattenladen zu besuchen, in dem er arbeitete. Irgendwie trafen wir uns auch immer wieder zufällig. In Venedig ist man meist zu Fuß unterwegs oder mit dem ,Vaporetto‘, dem ,Wasserbus‘; der Radius ist überschaubar. Drei Monate später wurden wir ein Paar.

Europa – das einzig Wahre

Seither sind 25 Jahre vergangen. Fernando und ich haben geheiratet und lebten erst in Verona, dann in Mailand und Salzburg und seit zehn Jahren in San Colombano al Lambro, 40 Kilometer südwestlich von Mailand. Ich arbeite als Sprachlehrerin für Deutsch, Spanisch und Italienisch und an einem Schulungsprojekt für bilingualen Unterricht im Trentino. Fernando ist in der Verlags- und Musikbranche beschäftigt, vor allem im Onlinegeschäft und auf dem Gebiet von Autorenrechten.

In den 1990er-Jahren hat man sich wenig Gedanken über Europa gemacht, es war einfach so und das war gut so, wir haben das nicht hinterfragt. Heute gibt es in vielen Ländern Skeptiker und europakritische Strömungen. Ich glaube nicht, dass die Gründe dafür nur wirtschaftlicher Natur sind. Gerade in Italien wird gegen alles und jeden gewettert, das hat viel mit Intoleranz zu tun. Als in unserem Ort beispielsweise die Frage aufkam, ob wir Flüchtlinge aufnehmen könnten, waren die meisten dagegen – außer mir und einigen anderen Frauen aus anderen EU-Ländern. Das ist so schade, denn für mich ist Europa immer noch das einzig Wahre und der beste Weg, miteinander auszukommen! Wir können so viel voneinander lernen – von den Italienern zum Beispiel eine gewissen Gelassenheit und Flexibilität, von den Deutschen den Biss, Probleme direkt anzupacken. 

Bereut habe ich meine Entscheidung, nach Italien zu ziehen, nie. Auch wenn die Freiberuflichkeit hier gewisse Unsicherheiten mit sich bringt, gerade was die Rente angeht. Die Menschen hier sind offener als in Deutschland, es passiert häufig, dass man auf der Straße ins Gespräch kommt, dass jemand ein Späßchen macht oder man sich mit Freunden kurz mal auf einen Cappuccino trifft. Mit Fernando kommt nie Langeweile auf – er ist kreativ und plant nicht gern voraus. Ich bin sicher: Mein Leben hier bleibt interessant und abwechslungsreich!“

Protokoll: Sarah Kanning

„Ich bin eine begeisterte Europäerin“

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