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Wie leben normale Deutsche?

In der Ukraine wird Deutschland als wichtigster Verbündeter in Europa gesehen – auch wegen Werten wie Demokratie und Traditionen

Nataliia Fiebrig, 26.08.2021
Nataliia Fiebrig bei einem Bericht aus Berlin.
Nataliia Fiebrig bei einem Bericht aus Berlin. © privat

Wirtschaftliche Stärke, Demokratie, Kultur und Traditionen: Das verbinden Ukrainer mit Deutschland. Sie interessieren sich dafür, wie die normalen Deutschen leben, wie Kitas und Schulen funktionieren, wie die medizinische Versorgung organisiert ist, welche Vorteile der Sozialstaat hat, bis hin zu deutschen Autos und Autobahnen, gepflegten Gärten mit Gartenzwergen. Und natürlich dürfen in meiner Berichterstattung nie Weihnachtsmärkte und das Oktoberfest fehlen.

Die Mehrheit der Ukrainer meint, in Deutschland wäre alles bis ins kleinste Detail geregelt und der Schutz der Bürger hätte oberste Priorität. Darum können sie kaum glauben, dass Mieter in den Großstädten kaum noch bezahlbare Wohnungen finden, oder dass ein so starkes Industrieland bei der Digitalisierung hinterherhinkt, während in der Ukraine die staatliche App Dija bereits Pass und Führerschein ersetzen kann.

Im August 2021 wurden mit einer großen Militärparade in Kiew 30 Jahre Unabhängigkeit gefeiert.
Im August 2021 wurden mit einer großen Militärparade in Kiew 30 Jahre Unabhängigkeit gefeiert. © picture alliance/dpa/TASS

Politisch ist Deutschland seit 2014 wichtigster europäischer Verbündeter der Ukraine. Bei Bundeskanzlerin Angela Merkel stand die Ukraine ganz oben auf der Prioritätenliste. Sie war immer detailliert informiert, über den Reformprozess genauso wie über die Verteidigung der territorialen Integrität der Ukraine im Osten des Landes. Unbegreiflich ist deswegen für die politische Führung und die Bevölkerung das Beharren der Bundesregierung auf der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2. Als Abschiedsgeschenk an den russischen Präsidenten Wladimir Putin wurden Merkels Bemühungen gewertet, US-Präsident Joe Biden zum Verzicht auf Sanktionen gegen das Projekt zu überzeugen. Putin habe damit alles bekommen, was er wollte, heißt es in der Ukraine.

Es fehlt auch das Verständnis dafür, dass die Pipeline als ein rein wirtschaftliches Projekt bezeichnet wird. Die Ukrainer sehen sie vor allem als geopolitisches Instrument. Nicht die wirtschaftlichen Folgen fürchtet die Ukraine am meisten, sie sehen die Entwertung der bestehenden Pipeline durch die Ukraine als großes Sicherheitsrisiko. Gerade für Angela Merkel, die 2015 mit dem mühsam ausgehandelten Minsker Abkommen den Krieg im Osten der Ukraine zwar nicht beenden, aber doch einfrieren konnte, hätte das ein Argument sein müssen. Generell wird in Deutschland das von Russland ausgehende Sicherheitsrisiko für die Ukraine viel niedriger eingeschätzt als von den Ukrainern selbst.

 


Nataliia Fiebrig ist Journalistin. Sie lebt seit vielen Jahren in Berlin und berichtet in ihre Heimat Ukraine für die Nachrichtensendung TSN des TV-Senders 1+1.

© www.deutschland.de

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