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Auf Mission 
für Demokratie und Sicherheit

Tausende freiwillige Wahlbeobachter fördern weltweit die Demokratie.

Stephan Löwenstein, 24.09.2015

Im Mai 2014 richteten sich die Augen der Welt auf die Präsidentschaftswahl in der Ukraine. Angesichts der angespannten politischen Lage hatte es eine besonders große Bedeutung, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dem Prozedere ein demokratisches Gütesiegel verlieh: Die Wahl sei durch eine hohe Beteiligung und die klare Entschlossenheit gekennzeichnet, eine echte Wahl entsprechend internationalen Verpflichtungen und mit Respekt für die Grundfreiheiten abzuhalten; mit Ausnahme der Regionen Krim, Donezk und Luhansk sei das im Großen und Ganzen gelungen.

Allerdings hatte die OSZE auch ein paar Dinge zu monieren und Verbesserungsvorschläge zu machen, beispielsweise was die Auswahl, Unabhängigkeit und Schulung der Wahlkommissionen auf ­Distriktebene angeht. Gleichwohl hätten die Kommissionen die Sache meistens im Griff gehabt.

So hieß es im Bericht von Tana de Zulueta, der Chefin der Wahlbeobachtermission. Wie aber ist die frühere italienische Senatorin zu diesem Ergebnis gekommen? Es ist aus der Zusammenschau von Erkenntnissen entstanden, die ein Team von mehr als tausend Leuten gesammelt hatte. 24 Experten, 100 Langzeitbeobachter und am Wahltag zusätzlich 1025 Kurzzeitbeobachter aus allen 46 Teilnehmerstaaten der OSZE hatten ein Auge darauf, ob alles ordnungsgemäß ablief.

Deutschland stellt Beobachter für Missionen der OSZE und der Europäischen Union. Sie können dafür auf eine festgeschriebene Methodik, teils jahrzehntelange ­Erfahrung und auf ihre institutionelle Unabhängigkeit zurückgreifen. Das unterscheidet sie – und die Qualität ihres Urteils – beispielsweise von jenen Politikern aus verschiedenen europäischen Rechtsparteien, die ebenfalls 2014 der von Russland vollzogenen Anschlussabstimmung auf der Krim ein demokratisches Unbedenklichkeitssiegel verleihen wollten.

Die Chefs der Missionen sind in der Regel aktive oder ehemalige Politiker. Die EU pflegt Europaparlamentarier zu entsenden, so wie 2012 in Libyen den deutschen Politiker Alexander Graf Lambsdorff, heute stellvertretender Präsident des Europäischen Parlaments. Ihnen steht eine Kernmannschaft zur Seite, eine Handvoll Experten für Recht und Verwaltung, Logistik und Öffentlichkeitsarbeit sowie Regionalverantwortliche. Die Langzeitbeobachter und die vielen Kurzzeitbe­obachter sind Freiwillige, die allenfalls eine Aufwandsentschädigung erwarten dürfen.

Für einen Langzeitbeobachter wird zum Beispiel bei einer Wahl in einem gefährlichen Land, die über sechs Wochen dauert, schon eine Vergütung in angemessener Höhe gezahlt. Aber dafür muss er oder sie sich immer wieder bewerben, und oft werden es höchstens zwei Missionen pro Jahr. Langzeitbeobachter müssen kurzfristig die Koffer packen können, wenn sie genommen werden, und bereit sein, sich auch in entlegenste Regionen beispielsweise in Guinea-Bissau oder in Nepal schicken zu lassen. Tropentauglich durch­geimpft sollten sie auch sein.

Wer sind die Menschen, die das freiwillig auf sich nehmen? Es sind zum Großteil Akademiker, meist Politologen oder Juristen, auch Weltenbummler und Idealisten. Für den einen ist es ein Zubrot zur Rente, für die andere ein Standbein neben der Reportagefotografie. Wieder andere schätzen es, an entlegene Orte zu kommen und interessante Menschen kennenzulernen.

Wolfgang von Schmettau gehört zu den Erfahrenen. 25 Wahlen hat der 70-Jährige beobachtet, seit er diese Tätigkeit für sich entdeckt hat. In Kasachstan ging es 2004 los, dann verschlug es den Deutschen unter anderem nach Afghanistan und Ost­timor, Mazedonien und Ecuador, in viele afrikanische Länder und allein sechsmal in die Ukraine, natürlich auch 2014. In dem Wahljahr war er in Galizien eingesetzt, also im Westen des Landes, wo vom Krieg nichts zu spüren war. „Es gab dort keine dornigen Themen“, sagt er. „Wir konnten ziemlich routinemäßig arbeiten.“ In seinem Bericht an die Missionsführung kamen nur Kleinigkeiten vor: Mal kannten die Leute in einem Wahllokal das Gesetz nicht so gut, was dazu führte, dass ungültige Stimmen und Enthaltungen in einen Topf kamen. So etwas fließt dann in den Gesamtbericht und die Empfehlungen ein.

Das Auswärtige Amt, wo Schmettau sich um die Jahrtausendwende bewarb, bat ihn zunächst um die Teilnahme an einem zweiwöchigen Kurs des damals gerade ins Leben gerufenen „Zentrums für Internationale Friedenseinsätze“ (ZIF). Auf dem Stundenplan standen Themen wie: Politik in Krisen, Wiederherstellung von Stabilität, interkulturelle Kompetenz, Belastungsfähigkeit oder Stressmanagement. Inzwischen steht Schmettau dort selbst für Fragen zur Verfügung. Auch einige EU-Partner nutzen das ZIF zu Ausbildungszwecken. Zwischen 2002 und 2014 vermittelte das ZIF etwa 3800 Wahlbeobachter in Missionen der OSZE und der EU.

In ihrem Einsatzgebiet werden die Be­obachter in Zweierteams losgeschickt: ein Mann und eine Frau aus unterschiedlichen Ländern. Einmal unterwegs, sind sie auf sich gestellt. Schon das kann eine Herausforderung sein. Denn auch wenn die Chemie nicht so ganz stimmt, muss man zusammenarbeiten. Einmal die Woche ist ein Bericht ans Leitungsteam fällig. Ein Auto mit Fahrer und bei Bedarf auch ein Übersetzer werden gestellt. Die Kurzzeitbeobachter sollen vor allem den Wahlvorgang und die Auszählung beobachten. Insgesamt dauert eine Mission etwa zehn Tage: Anreise, Briefing in der Hauptstadt über die Besonderheiten des Landes und seines Wahlrechts, dann die Reise „ins Feld“. Wer sich dort bewährt, kommt auch für mehrwöchige Einsätze infrage.

Wolfgang von Schmettau versucht, vor allem an Langzeitmissionen teilzunehmen. Eine zentrale Aufgabe von freiwilligen Wahlbeobachtern wie ihm besteht darin, an einem bestimmten Ort – meis­tens in Provinzstädten – möglichst viele Gespräche zu führen: mit Bischöfen oder Imamen, Vereinen oder Frauengruppen, Kandidaten und der lokalen Wahlverwaltung. Man beobachtet Parteien und Wahlveranstaltungen, versucht, die Stimmung aufzunehmen und politische Kraftfelder zu erspüren. Ist Demagogie im Spiel, wird eingeschüchtert, wird im Radio zur friedlichen Wahl aufgerufen, wie läuft die Wählerregistrierung?

Diejenigen, die sich das ein paar Wochen lang angeschaut haben, geben den Kurzzeitbeobachtern ein Briefing für die entsprechende Region und teilen sie in ihre Regionen auf. Da wird dann mitgeteilt, ob sich vielleicht ein Kandidat besonders polemisch gegen seine Gegner verhält. Oder ob es Menschen gibt, die Vermögen, Land, eine Fabrik haben und von denen bekannt ist, dass sie auf feudale Weise den Leuten sagen, wen sie zu wählen haben. Manchmal ist auch von Stimmenkauf die Rede. Da sind die Beobachter auf Zuträger angewiesen, meist die vermeintlich Geschädigten. Aber das wird ihnen in ihren Briefings auch eindringlich gesagt: Vorsicht mit allen Informationen, die einem zugetragen werden. Nicht auf Gerüchte oder Verleumdungen hereinfallen. Da hilft Erfahrung.

Im Zentrum steht natürlich der Wahltag. Die Beobachter wählen sich eine Route aus, die möglichst viele Wahllokale umfassen soll. In einem schauen sie sich die letzte Stimmabgabe, die Schließung und die Auszählung an. Dann begleiten sie den Transport der Resultate in das Auszählungszentrum. Dort bleiben sie, bis das Protokoll angenommen ist. In der Ukraine hat Schmettau 2014 zusammen mit seiner Teampartnerin von 80 Wahllokalen in ihrem Gebiet zehn beobachtet. Aus den Stichproben ziehen dann die Statistiker im Leitungsteam ihre Schlüsse.

Nur einmal hat Schmettau ein offensichtliches Beispiel für das berüchtigte „Stimmenstopfen“ gesehen. Das war in Mazedonien: In der durchsichtigen Urne lagen die Stimmzettel wie Dachziegel geschichtet. Das sah aus, als seien mehrere Stimmzettel auf einmal hineingelegt worden. Gefährlich wurde es auch schon einmal. 2006 in Kongo saß er mit seiner Teampartnerin in einem Haus, über das die Mörsergranaten der Wahlverlierer pfiffen. Im 1. Stock schlugen Schüsse ein. Unten saßen die Beobachter über Stunden fest. „Da haben wir Spaghetti gekocht.“ ▪