„Das Ausmaß ist unvorstellbar“
In Syrien und im Irak ist das umfangreiche kulturelle Erbe in Gefahr. Das Auswärtige Amt setzt sich für den Schutz ein. Ein Interview mit dem Archäologen Michael Müller-Karpe.

Herr Müller-Karpe, welches Ausmaß haben die Raubgrabungen in Syrien und im Irak inzwischen angenommen?
Krieg und Chaos sind der ideale Nährboden für Plünderungen. Das Ausmaß ist unvorstellbar. In Syrien fahren Plünderer zum Teil mit Bulldozern durch archäologische Stätten. Das Problem bei Raubgrabungen ist ja weniger, dass Objekte gestohlen werden. Die kann man sicherstellen und an die Eigentümer zurückgegeben. Was aber unwiederbringlich zerstört wird, ist das Bodenarchiv mit Informationen über unsere Vorfahren. In Syrien und im Irak, in Mesopotamien, sprechen wir von der Wiege der Zivilisation. Da geht es um die Menschen, denen wir die Erfindung der Schrift verdanken, der Astronomie und der Mathematik. Ein wesentlicher Teil von dem, was uns diese Menschen über sich berichten können, ist im Fundkontext im Boden erhalten. Dieser Verlust ist der eigentliche Schaden von Raubgrabungen.
Sie setzen sich dafür ein, dass das Gesetz zum Schutz von antiker Kunst erneuert wird. Was muss sich ändern?
Ganz wichtig ist, dass das Prinzip vom Tisch kommt, dass nur Objekte geschützt werden, die in einer Liste verzeichnet sind. Funde aus Raubgrabungen können nicht gelistet sein. Es sollten grundsätzlich alle archäologischen Funde geschützt sein, vor allem auch die aus zweifelhafter Quelle: Antiken stammen ja nicht vom Dachboden und auch nicht aus einem ‚Schweizer Familienbesitz‘. Archäologische Funde aus legalen Grabungen kommen bekanntlich ins Museum. Das heißt, was sie heute im Handel angeboten bekommen, kann in aller Regel nur aus Raubgrabungen stammen. Wir brauchen dringend ein Gesetz, das sagt, dass der Handel mit archäologischen Funden grundsätzlich strafbar ist. Es sei denn, es wird nachgewiesen, dass die Objekte nicht aus Raubgrabungen stammen und auch nicht rechtswidrig aus dem Herkunftsland geschmuggelt wurden.
Wer sind die Akteure im illegalen Antikenhandel?
Die eigentlichen Täter sind die Käufer, vor allem auch die bei uns hier im Westen, die keine Fragen nach der Herkunft stellen. Wir haben zwar inzwischen EU-Verordnungen, die den Handel mit irakischem und syrischem Kulturgut unter Strafe stellen, aber dann kommen die Sachen halt angeblich aus der Türkei. Deshalb muss das neue Gesetz sicherstellen, dass eine Exportlizenz des Landes der Fundstelle vorgelegt wird und nicht die eines Drittlandes. Es gibt eine lange Kette an Profiteuren, zu denen auch die IS-Terroristen gehören.
Michael Müller-Karpe, 60, ist Archäologe am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. Er setzt sich für die Bekämpfung der Antikenhehlerei und ein Handelsverbot für archäologische Kulturgüter zweifelhafter Herkunft ein.