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Prinzip der Solidarität

Deutschland und die Tschechische Republik bleiben beim Thema Flüchtlinge im Gespräch. Beim Migrationsdialog in Prag verabreden sie ein gemeinsames Engagement in Jordanien.

Helen Sibum , 29.11.2016
© Deutsche Botschaft Prag (Foto: Tomas Krist) - Dialogue on Migration

Es gibt wahrscheinlich kaum einen besseren Ort, um über Flucht und Migration zu sprechen als die deutsche Botschaft in Prag. Im Spätsommer 1989 besetzten Tausende DDR-Flüchtlinge das Gelände und forderten, in die Bundesrepublik ausreisen zu dürfen. Am 30. September trat der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher auf den Balkon der Botschaft und sprach die erlösenden Worte, die im Jubel untergingen. Der Ort wurde zum Symbol für das Glück der Freiheit.

Heute suchen wieder Menschen Schutz – in Deutschland, in der Tschechischen Republik und in anderen Ländern Europas. Wie mit der hohen Zahl von Flüchtlingen umzugehen ist, dazu gibt es verschiedene Auffassungen unter den europäischen Partnern. Auch Deutschland und die Tschechische Republik waren nicht immer einer Meinung, als 2015 besonders viele Menschen kamen. Um den Gesprächsfaden nicht zu verlieren, starteten die beiden Länder den Deutsch-Tschechischen Migrationsdialog. „Wir brauchen gemeinsame Lösungen für gemeinsame Herausforderungen“, so Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, bei einem Austausch mit Vertretern der tschechischen Zivilgesellschaft am 28. November 2016 in der Deutschen Botschaft in Prag.

https://www.youtube.com/watch?v=tBdHN342HBc

Gemeinsames Engagement in Jordanien

Das Gespräch war der Auftakt zum nunmehr dritten Treffen im Rahmen des Migrationsdialogs. Bei ihrer Zusammenkunft im tschechischen Außenministerium vereinbarten die Vertreter beider Regierungen später konkrete Schritte der Zusammenarbeit. So wollen sie sich gemeinsam in einem Flüchtlingsprojekt in Jordanien engagieren. Überhaupt waren sich die Partner einig, dass Europa seinen Blick noch stärker auf die Herkunftsländer der Flüchtlinge und auf die Transitstaaten richten müsse.

Dieser Gedanke ist auch Teil der gemeinsamen Erklärung, die Michael Roth und der Chefberater der tschechischen Regierung, Vladimír Špidla, in Prag unterzeichneten. Grundlage aller Bemühungen im Umgang mit Flüchtlingen sind demnach Solidarität, Menschlichkeit und gemeinsame Verantwortung. Beschlossen wurde auch, dass sich Fachleute aus Ministerien beider Länder künftig zu einzelnen Themen intensiver austauschen, etwa zur Integration von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt.

Was die Tschechische Republik schon heute in Sachen Integration unternimmt, erfuhren die deutschen Gäste bei einem Besuch in den Räumen der Nichtregierungsorganisation Slovo 21. Leiterin Jelena Silajdzič war selbst vor 25 Jahren aus Sarajevo in die Tschechische Republik gekommen. Damals habe es keinerlei Informationen gegeben, die den Neubeginn erleichtert hätten, sagt sie. Heute ist das anders – auch dank Slovo 21. Im Auftrag der Regierung unterstützt die Organisation Migranten mit Integrations- und Sprachkursen. Außerdem hat sie mit einem Patenschaftsprojekt Hunderte tschechische Familien und Einwandererfamilien zusammengebracht. Unterstützung von freiwilligen Flüchtlingshelfern bekommt das Team dabei kaum – eine Kultur des Ehrenamts entwickle sich in der Tschechischen Republik erst langsam, so Silajdzič.

„Gegen Stereotype und Halbwahrheiten“

Es sei nicht leicht, in der Bevölkerung für den Wert von Vielfalt zu werben, hatten schon die Vertreter der Zivilgesellschaft am Vormittag in der Botschaft deutlich gemacht. Sie zeigten sich besorgt über die mediale Berichterstattung im Land, die Misstrauen insbesondere gegenüber muslimischen Zuwanderern schüre. Eine Umfrage hatte kürzlich ergeben, dass fast zwei Drittel der tschechischen Bevölkerung die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen ablehnen. Von den Besuchern aus Deutschland wollten die Gesprächspartner deshalb auch wissen, wie sie mit den Zuwanderungsgegnern im eigenen Land umgehen und wie in Deutschland eine faire Verteilung der Asylsuchenden auf die verschiedenen Städte und Regionen gelingt.

Der Dialog in dieser Form soll weitergehen, schon im Frühjahr 2017 in Berlin. „Das Thema Migration bleibt eines der wichtigsten, aber zugleich sensibelsten und umstrittensten“, so Michael Roth. „Wir wollen auch in Zukunft einen faktenorientierten Austausch, um Stereotype und Halbwahrheiten in der gesamten EU überwinden zu helfen.“

Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth zur Eröffnung des Deutsch-Tschechischen Migrationsdialogs in Prag

Vladimír Špidla, Chefberater der tschechischen Regierung, im Interview