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Trainer für den Weltfrieden

Als VN-Wahlbeobachter in ­instabile Regionen? Das Zentrum für ­Internationale Friedens­einsätze in Berlin bereitet auf solche Missionen vor.

14.08.2012
© picture alliance/ZB

Das Rathaus von Donard wirkt verlassen, doch lange kann es noch nicht her sein, da war dieser Ort offenbar Schauplatz eines Verbrechens. Ein fast leerer Raum im Erdgeschoss: zwei Stühle, ein Tisch, umgeworfene Flaschen, Zigarettenstummel, es riecht nach Rauch und Alkohol, auf dem Boden Reste von Fesseln und Blutspuren. Hat in diesem Zimmer ein brutales Verhör stattgefunden? Kam es gar zu Folter? Auf den ersten Blick deutet einiges darauf hin. Um mehr über die Vorfälle sagen zu können, stellt die UNIFIT-Einsatztruppe der Vereinten Nationen (VN) schnell die wichtigsten Beweise sicher. Samuel Kyomukama aus Uganda zieht sich Handschuhe an und kniet vor einigen Kleidungsstücken auf dem Boden. Mit einem Stift markiert er auf einer weißen Karte eine Ziffer und legt sie neben die Kleider: Beweisstück Nummer 12. In dem Raum mit schummrigem Licht leuchtet unterdessen sein Kollege Hans Houwen aus den Niederlanden Boden und Wände mit einer Taschenlampe ab – auf der Suche nach weiteren Spuren, mit denen sich die Ereignisse rekonstruieren lassen. Von der Stelle, an der sie später mit einem Massengrab einen weiteren erschreckenden Fund machen werden, wissen sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts.

Rollenspiele, nah an der Wirklichkeit

Das ist so gewollt bei der Operation „Westland“. Was nach Gewalttaten aussieht, ist hier nur ein erfundenes Szenario: ein Rollenspiel, nah an der Wirklichkeit, das eine Extremsituation bei einer VN-Mission simuliert. Donard ist eigentlich die Akademie Berlin Schmöckwitz. Und die UNIFIT-Kräfte sind offiziell 20 Polizisten, Staatsanwälte oder Richter aus zwölf verschiedenen Ländern, die gerade an einem Pilotkurs zur Vorbereitung auf internationale Friedenseinsätze teilnehmen. „JRR – Justice Rapid Response“ nennt sich dieses spezielle theoretische und praktische Training für den Ernstfall. Es bildet zivile Experten – vom Juristen über Polizisten bis zum Forensiker – aus, die etwa im Auftrag der Vereinten Nationen in Länder reisen sollen, wo Verdacht auf Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord besteht. Ihre Aufgabe dort: frühzeitig wichtige Beweismaterialien zu ermitteln, die später in Prozessen des ­Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag herangezogen werden können.

Organisiert wird der einwöchige Kurs vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin, das eng mit dem Auswärtigen Amt zusammenarbeitet. Eine anerkannte Institution, wenn es um die Ausbildung und Rekrutierung ziviler Experten in internationalen Friedens- und Beobachtermissionen und die Analyse weltweiter Krisenpräventions- und Friedensmissionen geht. Gegründet wurde das ZIF 2002 im Kontext des Balkan-Konflikts Ende der 90er-Jahre. Deutschland wurde um die Entsendung ziviler Fachkräfte in den Kosovo gebeten – doch es gab damals kaum ausreichend qualifiziertes Personal, das kurzfristig für den Einsatz in Frage kam.

Mediation und Verhandlungsführung

Heute hat sich die Situation verbessert: 2008 verstärkten insgesamt 241 deutsche Zivilkräfte mehr als 40 internationale Friedensmissionen, 265 Deutsche kamen als Wahlbeobachter für die Euro­päische Union (EU) und die OSZE zum Einsatz. Eine Entwicklung, die nicht zuletzt auf die Arbeit des ZIF zurückgeht. „Die Bedeutung von zivilen Einsatzkräften wurde lange unterschätzt. Wir bilden jedes Jahr rund 200 Teilnehmer aus mehreren Ländern in zehn bis zwölf Kursen aus“, erzählt ZIF-­Direktor Winrich Kühne. Auf dem Programm stehen Grundkurse über Frie­denseinsätze, Wahlbeobachterkurse oder ­Spezialisierungs- und Fachkurse zu Rechtsstaatlichkeit, Mediation und Verhandlungsführung oder Projektmanagement.

Mit dem Ausbildungszentrum der Bundeswehr für Auslandseinsätze gibt das ZIF Sicherheitstrainings, mit weiteren Partnern engagiert das Zentrum sich in einem europäischen EU-Trainingsprojekt. Seit 2004 unterstützt das ZIF im Auftrag der Bundesregierung und in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) außerdem die Krisenpräventions- und Peacekeeping-Kapazitäten in Westafrika. Partner sind das Kofi Annan International Peacekeeping Training Center in Accra (Ghana) und die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS.

Keine Helden, sondern Profis

„Wir wollen keine Helden und Abenteurer, sondern verantwortungsvolle Profis“, sagt Kühne über die Anforderungen an Bewerber, die beim ZIF Kurse für internationale Friedenseinsätze absolvieren und danach in den Expertenpool aufgenommen werden. Die Datenbank ist ein weiterer wichtiger Baustein für die Auswahl und Vermittlung von zivilem Personal aus Deutschland für Friedens- und Wahlbeobachtermissionen internationaler Organisationen: Mehr als 1200 Fach- und Führungskräfte hat das ZIF hier registriert. Sie sind zwischen Ende 20 und Ende 50, haben Berufs- und Auslandserfahrung. Viele arbeiten als Verwaltungs- oder Finanzexperten, im Justizwesen, bei der Polizei oder im Bereich der humanitären Hilfe.

Ein Profil, das auch die Teilnehmer des Kurses in der Akademie Berlin Schmöckwitz auszeichnet. Zum Beispiel Gabriele Walentich. Die deutsche Staatsanwältin und ZIF-Expertin arbeitet seit einem Jahr in Prizren im Kosovo für die EULEX-Mission der EU und unterstützt auf dem Balkan den Wiederaufbau der Justiz. „Ich bin hier bei diesem Kurs, weil ich mehr darüber lernen möchte, wie ein internationales und interdisziplinäres Team in einer Konfliktregion schnell Beweise sichern kann“, sagt die Juristin. Ähnlich sieht es Bertjan Tjeerde. Der auf internationale Verbrechen spezialisierte Polizist aus den Niederlanden hat bereits in Afghanistan gearbeitet – und in Ruanda, das 1994 mit einem erschütternden Genozid und 800000 Toten die größte Katastrophe seiner Geschichte erlebte. Seit 1996 beschäftigt der Völkermord ein VN-Sondertribunal. Internationale Experten, wie sie das ZIF jetzt mit seinem JRR-Training zur schnellen Beweissicherung ausbildet, glaubt Tjeerde, hätten schon damals eine sinnvolle Unterstützung für die weitere juristische Aufarbeitung sein können.