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Artikel 2: Entfaltungsfreiheit

Philosoph und Jurist Albert Kitzler: Ein guter Rahmen, um die eigene Mitte zu finden.

Albert Kitzler, 17.04.2019
Albert Kitzler ist Philosoph und Jurist
Albert Kitzler ist Philosoph und Jurist © Gerhard Kassner

Zu Artikel 2 des Grundgesetzes fallen mir zwei Sätze ein, die für mein Leben von existentieller Bedeutung waren. Der eine besagt, dass Goethes unermüdlicher Schaffensdrang in einem tief in seiner Persönlichkeit verwurzelten, „stetig fortschreitenden, nach innen und außen gerichteten Bildungsdrang“ seinen Grund hatte. Bildung war ihm Wissenserweiterung und zugleich Formung der eigenen Persönlichkeit. Darin vollendete sich seine Existenz. Mit dieser Vorstellung verbinde ich seither diejenige eines erfüllten und glücklichen Daseins. Sie wurde zur Maxime meines Lebenswegs.

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 2

Der zweite Satz weist in dieselbe Richtung und stammt von dem griechischen Dichter Pindar, der vor 2500 Jahren schrieb: „Werde der du bist, aufgrund von Erfahrung.“ Er verknüpft den Bildungsgedanken mit der einzigartigen Persönlichkeit eines jeden Menschen und verweist darauf, dass diese nur in ständiger Wechselwirkung mit der praktischen Tätigkeit und den dabei gemachten Erfahrungen vollendet werden kann. Nur so kommen wir zu uns selbst, in unsere Mitte, in die Geborgenheit im eigenen Innern.

Ich bin einen langen Weg mit mehreren Abzweigungen, Wendungen und scheinbaren Umwegen gegangen, um Pindars Wort zu erfüllen. Ein Ende dieses Weges ist nicht abzusehen, und es scheint so, als sei dieses offene, neugierige und wachsende Voranschreiten, bei dem ich mich und die Welt immer wieder neu erfahre, die eigentliche Bestimmung des Menschen.

Der Staat hat möglichst vielen Menschen möglichst viele Felder der Persönlichkeitsentfaltung zu eröffnen.
Albert Kitzler, Philosoph und Jurist

Was dieses Voranschreiten aber überhaupt erst ermöglicht, ist das Grundrecht auf „freie Entfaltung der Persönlichkeit“. „Frei“ bedeutet, dass jeder Einzelne der Steuermann seines inneren und äußeren Lebens sein soll und selbst bestimmt, wohin seine Fahrt geht. Aufgabe des Staates aber ist es, die bestmöglichen Rahmenbedingungen und ökonomisch-sozialen Grundlagen dafür zu schaffen. Er hat möglichst vielen Menschen möglichst viele Felder der Persönlichkeitsentfaltung zu eröffnen, damit sie ihre Potentiale umsetzen und so ihr Glück finden können. Hierbei stößt der Staat an faktische und ökonomische Grenzen.

Unbedingt und grenzenlos ist keine Freiheit. Innerhalb dieser Grenzen aber kann jeder seine Persönlichkeit zum Erblühen bringen und auf diese Weise werden, der er ist. Er kann dies freilich nur dort, wo ihm der Staat ein Grundrecht der selbstverantworteten Persönlichkeitsentfaltung gewährt, wie dies Artikel 2 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes tut.

Wenn ein Mensch im Besitz seiner selbst ist und sich nicht ausbreiten kann: das ist Not. Zhuangzi, (ca. 365-290 v. Chr., chinesischer Philosoph)

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 2

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

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