Ein Plan für die Demokratie
75 Jahre Marshallplan: Wie Deutschland von amerikanischer Unterstützung profitierte – und wie der Austausch für die Demokratie weitergeht.
Es ist ein doppeltes Jubiläum, das 2022 auf beiden Seiten des Atlantiks gefeiert wird: 75 Jahre Marshallplan und das 50-jährige Bestehen des German Marshall Fund sind Zeichen einer besonderen Verbindung zwischen den USA und Deutschland. Am Anfang stand die Rede des damaligen US-Außenministers George C. Marshall am 5. Juni 1947 an der Harvard University, mit der er ein großangelegtes finanzielles Hilfsprogramm für Europa ankündigte. Mit diesem sollten die USA allerdings nicht nur wirtschaftliche Entwicklung unterstützen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hob bei einer Veranstaltung zum 75. Jahrestag hervor: „Das Ziel war, die für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit notwendigen Institutionen zu schaffen.“
Was bedeutet der Marshallplan für Deutschlands Demokratie?
Voraussetzung für das European Recovery Program (ERP), so die offizielle Bezeichnung des Marshallplans, war, dass sich die europäischen Länder auf eine gemeinsame wettbewerbsorientierte Wirtschaftsordnung verständigten. Somit wurde ein wichtiger Grundstein für europäische Einheit, transatlantische Partnerschaft und ein gemeinsames Werteverständnis gelegt. Der von den Alliierten besetzte einstige Kriegsgegner Deutschland wurde zum Partner. Der Politikwissenschaftler Hubert Kleinert bilanziert: „Nachdem in den ersten Jahren des Besatzungsregimes die wirtschaftliche Basis der Deutschen möglichst klein gehalten werden sollte, damit Deutschland keine Gefahr für seine Nachbarn mehr darstellen konnte, sollten nun amerikanische Gelder seinen wirtschaftlichen Aufstieg ermöglichen, um Europa vor dem Kommunismus zu bewahren.“
Was macht der German Marshall Fund?
1972 wurde der German Marshall Fund durch eine Schenkung Deutschlands ermöglicht; es war auch ein Zeichen des Dankes für die große Unterstützung durch den Marshallplan. Der German Marshall Fund of the United States hat seinen Hauptsitz in Washington, aber auch Büros in Berlin, Brüssel, Ankara, Belgrad, Bukarest, Paris und Warschau. Er organisiert den Austausch zu zentralen transatlantischen Themen, wie zum Beispiel der Zukunft der Demokratie, Fragen von Sicherheits- und Geopolitik bis hin zu Digitalisierung und technischen Innovationen. So widmet sich etwa ein Online-Format am 21. und 22. Juni 2022 den Herausforderungen von Migrationspolitik im digitalen Zeitalter. Das alljährliche, prominent besetzte „Brussels Forum“ diskutiert Ende Juni in der belgischen Hauptstadt die drängendsten globalen Herausforderungen, insbesondere den Krieg in der Ukraine.
Braucht es einen neuen Marshallplan?
Erst im Mai 2022 forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einen „modernen Marshallplan“ für sein Land, mit umfassender finanzieller Hilfe, aber auch mit „einer stärkeren Beteiligung der freien Welt und der internationalen Institutionen“. Auch wenn der Marshallplan von 1947 ganz andere Voraussetzungen hatte: Die Idee einer weitreichenden Unterstützung, die nicht nur wirtschaftlichen Wiederaufbau ermöglicht, scheint zeitlos. So hat zum Beispiel Deutschland 2017 im Rahmen der G20-Initiative „Compact for Africa“ einen „Marshallplan mit Afrika“ auf den Weg gebracht. Und als der neue Finanzminister Christian Lindner im Mai 2022 zum großen Jubiläum sprach, würdigte mit ihm auch US-Verkehrsminister Pete Buttigieg des besondere Vermächtnis. Er betonte: „Vielleicht ist die wichtigste Gemeinsamkeit mit unseren Vorfahren in der Zeit vor 75 Jahren das Bewusstsein, dass die Zukunft liberaler Demokratien nicht selbstverständlich ist.“ Offenbar lohnt es sich, die Erinnerung an den Marshallplan zu bewahren.