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Die Polarisierung überwinden

Der deutsch-amerikanische Universitätsleiter Daniel Diermeier im Interview über das Vanderbilt Project on Unity and American Democracy.

Interview: Johannes Göbel, 07.06.2021
Daniel Diermeier: „Wir können Menschen zusammenbringen“
Daniel Diermeier: „Wir können Menschen zusammenbringen“ © Vanderbilt University

Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler, Business-School-Professor und Universitätsleiter Daniel Diermeier führt seit Juli 2020 als Chancellor die Vanderbilt University in Nashville, Tennessee, zuvor hatte er vier Jahre lang das Amt des Provost an der Spitze der University of Chicago inne. An der Vanderbilt University ist Diermeier am Vanderbilt Project on Unity and American Democracy beteiligt. Die Initiative setzt sich zum Ziel, politische und gesellschaftliche Gräben in den USA zu überwinden. Den Vorsitz übernehmen Bill Haslam, ehemaliger republikanischer Gouverneur von Tennessee, Samar Ali, Expertin für den Zusammenhang von nationaler Sicherheit und internationaler wirtschaftlicher Entwicklung und Teilnehmerin des White-House-Fellow-Programms in der Administration Barack Obamas, sowie Jon Meacham, renommierter Historiker und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneter Präsidenten-Biograf.

Herr Professor Diermeier, Sie haben dazu beigetragen, das Vanderbilt Project on Unity and American Democracy auf den Weg zu bringen. Welche Ziele wollen Sie damit erreichen?

Das Projekt begann während der letzten US-Präsidentschaftswahl. Es war die Idee von Jon Meacham, dem Präsidenten-Biografen und hervorragenden Historiker unserer Universität. Beunruhigt durch die sehr polarisierte Wahl haben sich Jon Meacham, der Dekan unseres College of Arts and Science, John Geer, und ich uns gefragt: Was können wir als Universität tun, um diese enorme Polarisierung zu überwinden? Wir waren uns einig, dass wir einiges tun können: Wir können uns natürlich auf Bildung und Forschung konzentrieren, aber wir können auch Menschen zusammenbringen. An der Vanderbilt University können Menschen zusammenkommen und Gespräche über herausfordernde Themen führen, immer mit dem Gefühl, dass die Werte der offenen Diskussion, der rationalen Argumentation und der Konzentration auf Fakten im Vordergrund stehen. Es wurde klar, dass wir das Vanderbilt Project on Unity and American Democracy als eine mehrjährige Initiative verfolgen wollten. Wir haben hart daran gearbeitet, sie kurz vor der Amtseinführung von Präsident Biden zu starten. Davor hat natürlich die Erstürmung des Kapitols am 6. Januar das Ausmaß der Polarisierung in den USA gezeigt.

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Auf welche Aktivitäten konzentrieren Sie sich?

Wir wollen offene, ernsthafte Gespräche über wichtige Themen führen, die unser Land betreffen, und über Lösungen, die von einer breiten Öffentlichkeit getragen werden können. Wir sind gestartet mit einer Diskussion mit dem ehemaligen Vizepräsidenten Al Gore und Jon Meacham über die befreiende Kraft von Vernunft und Beweisen in der amerikanischen Politik, gefolgt von einer Präsentation der ersten Fallstudie unseres Projekts durch die ehemalige Außenministerin Condoleezza Rice: eine Untersuchung der Rolle, die Fakten und Daten bei der Sicherung der parteiübergreifenden Unterstützung für den President's Emergency Plan for AIDS Relief (PEPFAR) spielten. Wir wollen im Detail sowohl historische Fälle als auch aktuelle Themen diskutieren, bei denen Lösungen gefunden werden konnten, die Menschen aus verschiedenen Teilen des politischen und ideologischen Spektrums zusammenbringen. Und natürlich wollen wir die Forschung einbeziehen, mit Fallstudien und Zusammenfassungen, die unser Lehrkörper und andere zu einigen der herausforderndsten Themen unseres Landes beitragen.

Was macht die Vanderbilt University zur geeigneten Heimat für diese Initiative?

Wir befinden uns auf mehr als eine Weise in der Mitte des Landes. Unser Sitz ist das von einem demokratischen Bürgermeister regierte Nashville, aber der Bundesstaat wird republikanisch regiert. Tennessee wird traditionell sehr pragmatisch geführt, sowohl auf der Gouverneurs- als auch auf der Bürgermeisterebene. Hier kommen die Menschen zusammen, um Probleme zu lösen, zum Beispiel im Bildungswesen, aber auch um ausländische Investitionen nach Tennessee zu holen. Historisch spielten Nashville und die Vanderbilt University eine sehr wichtige Rolle in der Bürgerrechtsbewegung, die ein Beispiel dafür ist, wie die USA größte Herausforderungen und tiefe Spaltungen überwinden können.

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Was ist Ihrer Meinung nach der Wert der Initiative aus europäischer und deutscher Sicht?

Ich denke, wir können das Phänomen der Polarisierung in vielen Ländern beobachten. Besonders in den USA, aber auch in Lateinamerika und Europa, wo der Brexit das vielleicht dramatischste Beispiel ist. In Frankreich wurde die Polarisierung durch die Bewegung der Gelbwesten deutlich, in Deutschland haben die Maßnahmen gegen das Coronavirus zu sehr intensiven Debatten geführt. Die Polarisierung zeigt sich in all diesen Ländern auf unterschiedliche Weise, aber grundsätzlicher haben wir es mit massiven Brüchen in der Weltwirtschaft zu tun, die durch die Globalisierung und den dramatischen technologischen Fortschritt verursacht wurden; das hat bestehende Strukturen erschüttert und zerstört.

Was denken Sie über das transatlantische Verhältnis zwischen Deutschland und den USA?

Ich bin in Berlin aufgewachsen und habe sehr lebhafte Erinnerungen an die Schilderungen meiner Großeltern über die Berlin-Blockade durch die Sowjetunion, an die immense Bedeutung der Vereinigten Staaten und die Unterstützung der Menschen in West-Berlin durch die U.S. Air Force. Die amerikanische Präsenz in Berlin war sehr positiv. Ich war auch in Berlin, als die Mauer fiel. Das hat mein Denken über die Bedeutung von politischen Institutionen wirklich verändert. Ich glaube, dass die Wertegemeinschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Europa wesentlich ist. So ist zum Beispiel die NATO nur der militärische Ausdruck dieser Gemeinschaft. Die Belastungen, denen das transatlantische Verhältnis in den letzten Jahren ausgesetzt war, haben mich beunruhigt, aber jetzt bin ich sehr zuversichtlich, dass die transatlantischen Verbindungen wieder gestärkt werden. Wir sollten auch nicht vergessen, dass Deutschland das wirtschaftliche Kraftzentrum der Europäischen Union ist. Eine starke Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland ist sehr im Interesse beider Länder.

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