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Mehr Krach machen für die Demokratie

„Kunst darf sich nicht zu fein sein für einen politischen Diskurs“: Über die Verantwortung der Kultur in kritischen Zeiten sprachen Kreative in Berlin. Sechs Stimmen.

Nicole Sagener, 24.04.2017
© Bernhard Ludewig - Discourse

Weltweit, und auch in Europa, mischen sich Populismus und Ressentiment zunehmend in den öffentlichen und politischen Diskurs. Sichergeglaubte Werte wie Toleranz, Demokratie und Solidarität werden immer wieder infrage gestellt. Dass selbst Regierungen demokratischer Staaten inzwischen unverhohlen „alternative Fakten“ nutzen, ist ein Weckruf – nicht nur an die Politik. In einer Zeit, in der Europa zunehmend zweifelt, stellt sich die Frage, ob und wie sich Kunstschaffende und die kreative Industrie unmittelbarer den nationalistischen, Zwietracht säenden Strömungen entgegenstellen müssen.

Offenes Diskutieren braucht Übung

Über die „Verantwortung der Kultur in kritischen Zeiten“ sprachen in Berlin Künstler, Kulturvertreter, Medienschaffende und Autoren. Die Veranstaltung „Keine Macht den Lügen!“ wurde von der Allianz Kulturstiftung, der Initiative Offene Gesellschaft und dem Verein Gesicht Zeigen! im Rahmen der Berliner Stiftungswoche in Kooperation mit der Plattform berlinergazette.de organisiert.

Ursprünglich als Diskussion in der Fishbowl-Methode angekündigt, bei der Besucher aus dem Plenum in den Kreis der Diskutanten wechseln können, wurde aus der Runde dann doch eine klassische Podiumsdiskussion. Die Öffnung der Diskussion für alle, das zeigte sich in den Gesprächen ebenso wie an der Organisation der Veranstaltung, muss noch geübt werden. Umso bedeutsamer ist die Warnung, die der designierte Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), Martin Roth, an diesem Tag aussprach: „Wir müssen aus unserer Komfortzone herauskommen und uns fragen, wie wir die Politik stärken und uns gegenseitig unterstützen können.“ 

Sechs Stimmen von Podiumsgästen, sechs Positionen zum Diskurs in kritischen Zeiten. 

„Das Ende der eigenen Toleranz zeigen“

Uwe-Karsten Heye, Vorstandsvorsitzender des Vereins „Gesicht Zeigen!“, 1998 bis 2002 Regierungssprecher 

„Eine offene Gesellschaft darf nicht als ,Diktatur der Offenheit‘ deklariert werden. Die digitalen Echoräume bestücken zunehmend jene, die den Menschen vermeintlich Informationen geben, aber oft das Gegenteil tun. Wir müssen einen Diskurs anstoßen, wie wir diese Räume davor bewahren, völlig rechtsfrei zu werden. Und jeder kann und muss zeigen, wo das Ende der eigenen Toleranz erreicht ist, wenn es um Abkapselung, Fremdenhass geht.“ 

„Kunst darf sich nicht zu fein sein für einen politischen Diskurs“

Esra Küçük, Mitglied im Direktorium des Maxim Gorki Theaters und Leiterin des Gorki Forums

„In dieser kontrafaktischen Zeit geht es weniger um Faktizität als um Emotionalität. Wir als Kunst- und Kulturschaffende können uns aus dieser Entwicklung gar nicht heraushalten. Schließlich sind wir in Ländern, die von Ultranationalisten regiert werden, als erste von Repressalien betroffen. Kunst ist für mich immer politisch, und die Kunst darf sich nicht zu fein sein für einen politischen Diskurs.“ 

„Menschen motivieren, für Demokratie einzustehen“

Martin Roth, ehemaliger Direktor des Victoria & Albert Museums London und designierter Präsident des Stuttgarter Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa)

„Die unverblümte Propaganda hat inzwischen ein Niveau erreicht, das wir so seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt haben. Ich habe den Eindruck, dass wir uns bereits an die Lügen eines Donald Trump und einer Organisation wie Pegida gewöhnen. Wir müssen uns über den eigenen Tellerrand hinaus engagieren. Es reicht nicht, unsere Spielpläne auf die Entwicklung einzustellen und in ein paar Jahren eine Ausstellung zu Demokratie zu eröffnen. Dann wäre es zu spät. Statt uns im Teufelskreis des ewigen Beklagens zu verfangen, müssen wir so viele Menschen wie möglich motivieren, für Demokratie einzustehen und zur Wahl zu gehen.“

„Ja Europa, ja Demokratie!“ 

Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin und Präsident des Deutschen Bühnenvereins

„Alltagsrassismus gibt es in vielen Städten und Gemeinden. Wir müssen Orte schaffen, um mit allen zu reden und die Teilhabe aller Bürger ermöglichen. Gespräche, Krach, Streit mit Andersdenkenden – das alles müssen auch Theater und Museen aushalten, statt sich in ihre geschlossenen Kulturzirkel zurückzuziehen. Vor allem aber muss man an manchen Punkten laut sagen: ,Ja Europa, ja Demokratie!‘ Obwohl uns das oft schwerfallen mag, weil wir immer diskursiv und kritisch denken.“

„Sprache und Literatur können etwas bewegen“

Terézia Mora, Schriftstellerin, Übersetzerin und Drehbuchautorin

„Natürlich fühle ich mich als Schriftstellerin verpflichtet, durch meine Beschreibung der Welt ein Stück Wahrheit darzustellen und Sprache gegen die Lüge zu nutzen. Als gebürtige Ungarin habe ich die Demonstrationen für die in Budapest ansässige und jetzt von der Schließung bedrohte Central European University beobachtet. Der Tag der Proteste, der 11. April 2017, ist in Ungarn gleichzeitig Tag der Poesie. Viele Demonstranten schrieben Gedichte oder selbstverfasste Verse auf ihre Plakate. Das zeigt, dass Sprache, Literatur, etwas bewegen kann.“ 

„Wir sollten mehr Krach machen“

Andre Wilkens, Vorstand von „Die Offene Gesellschaft“ und Autor des Buches „Der diskrete Charme der Bürokratie: Gute Nachrichten aus Europa“

„Statt die Bühne einer Minderheit zu überlassen, die Hass und Zweitracht sät, sollten wir als Demokratie-Befürworter mehr Krach machen und sichtbarer werden. Wir müssen uns trauen, auch mal ,dafür‘ zu sein. Unsere Gesellschaft ist nicht perfekt, ja. Aber auf viele demokratische Errungenschaften können wir stolz sein. Wir sollten sie feiern und dafür auf die Straße gehen.“ 

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