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Religionen in der Pflicht

In Konflikten sind Religionen oft Brandbeschleuniger. Können sie auch zum Frieden beitragen? Antworten von Silke Lechner vom Auswärtigen Amt.

25.09.2017
Dr. Silke Lechner
Dr. Silke Lechner © Anika Büssemeier

Frau Lechner, Sie sind stellvertretende Leiterin des Arbeitsstabes „Friedensverantwortung der Religionen“ im Auswärtigen Amt. Im Mai 2017 lud das Auswärtige Amt zur ersten Konferenz „Friedensverantwortung der Religionen“ mit mehr als 100 Teilnehmern verschiedener Glaubensrichtungen. Warum interessiert sich die deutsche Außenpolitik für Religion?
Außenpolitik geschieht nicht nur zwischen Staaten, heute spielen auch die Zivilgesellschaften in den Ländern eine große Rolle – und damit auch die Religionsgemeinschaften. Immerhin gehören über 80 Prozent der Menschen weltweit einer Religion an. Das sind Gemeinschaften, die einen großen Einfluss ausüben, sehr oft sind sie auch gesellschaftspolitisch aktiv und sozial engagiert. Deshalb sind Religionsgemeinschaften im Ausland wichtige Akteure für uns.

Deutschland hat ein gutes Modell für die Zusammen­arbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften.
Silke Lechner, Auswärtiges Amt

Ist dies eine neue Entwicklung? 
Es gab schon einige Ansätze, so wurden zum Beispiel bereits Projekte religiöser Akteure im Ausland gefördert. Diese erfolgreiche Arbeit war ein Grund, weshalb die deutsche Außenpolitik den Bereich strategischer angehen wollte. 2016 wurde dann der Arbeitsstab „Friedensverantwortung der Religionen“ im Auswärtigen Amt eingerichtet. Das ändert nichts daran, dass Deutschland ein weltanschaulich neutraler Staat ist und die Bundesregierung sich aus religiösen Angelegenheiten heraushält. Aber es gibt inzwischen einen Trend zu sagen, weltanschaulich neutral heißt nicht, dass man die Religionen ignoriert. Man sollte die Religionen da als Partner gewinnen, wo sie politisch tätig sind. Rein theologische Fragen sind nicht unser Thema, aber wenn Religionsgemeinschaften politisch werden, sind sie für uns interessant. In anderen Ländern gibt es ähnliche Ansätze, so hatte das Außenministerium der USA unter Präsident Obama auch ein Office of Religion and Global Affairs eingerichtet. Insgesamt ist es aber ein noch recht neuer Trend, den wir frühzeitig aufgegriffen haben.

Das Begriffspaar „Religion und Konflikt“ hört man allerdings öfter als „Religion und Frieden“. Täuscht dieser Eindruck? 
Es gibt beides. Religion ist immer auch ambivalent. Wir kennen viele Fälle, in denen Religion missbraucht wird. Wenn man sich die Konflikte genauer anschaut, sieht man, dass oft nicht die religiösen Aspekte im Vordergrund stehen, sondern dass es viele andere Faktoren gibt. Wir sagen: Es ist mindestens genauso wichtig, auf das positive Engagement der religiösen Akteure zu blicken, die vielfältig in der Friedensarbeit tätig sind, etwa in der Bildung oder in der Mediation. Dieser Ansatz, die Friedensverantwortung der Religion anzuerkennen und in den Vordergrund zu rücken, öffnet viele Türen. Das zeigte auch das große Interesse an der Konferenz, fast alle Eingeladenen sind gekommen. Auch während der Konferenz selbst war das Feedback der Religionsvertreter positiv. Sie sahen die Konferenz als wertvolle Initiative und betonten vielfach, dass gerade Deutschland in dem Bereich eine wichtige Rolle spielen könne.

Warum gerade Deutschland?
Deutschland wird viel zugetraut. Das ist in der Außenpolitik insgesamt zu beobachten, aber gerade auch in diesem Bereich. Es wird auch gesehen, dass Deutschland selbst ein gutes Modell für die Zusammenarbeit zwischen Staat und Religions­gemeinschaften hat, ein sehr kooperatives Verhältnis. Diesen Ansatz zu übertragen, trauen die ­Religionsvertreter Deutschland zu.

Was hat Sie am meisten beeindruckt in den ­Diskussionen? 
Die positive Grundstimmung! Wir haben 100 Einzelpersonen aus 50 Ländern eingeladen – da hatten wir schon Sorge, ob das funktioniert oder ob es nicht hier und da Konflikte geben würde. Aber die Menschen sind vom ersten Treffen an sehr offen aufeinander zugegangen. Mich hat auch das vielfältige Bild der Religionsvertreter hier im Auswärtigen Amt beeindruckt. Das hat es so vorher noch nicht gegeben. Wir hatten nicht nur Christen, Muslime und Juden eingeladen, sondern bewusst auch viele Vertreter kleinerer Religionen.

Wie wird es weitergehen? Wie kann die deutsche Außenpolitik die Religionsgemeinschaften dabei unterstützen, ihrer Verantwortung für den Frieden im Alltag nachzukommen? 
Wir sind noch dabei, die Vorschläge, die in der Konferenz gemacht wurden, auszuwerten. Wir haben sehr bewusst keine fixe Agenda vorgegeben, denn wir wollten zuhören und von den Teilnehmern lernen. Ein vielfacher Wunsch war, Prozesse auf regionaler und lokaler Ebene weiter zu unterstützen. Dies kann bedeuten, dass wir politische Räume schaffen, in denen Menschen Gelegenheit zum Austausch bekommen, die sonst nicht zusammenkommen, auch grenzüberschreitend. In den Arbeitsgruppen wurde auch oft der Wunsch nach Fortbildungen für religiöse Akteure geäußert. Hier möchten wir möglichst noch 2017 ein erstes Training für die Religionsvertreter aus unserem Netzwerk anbieten. Wir sehen uns die Ergebnisse jeder Arbeitsgruppe intensiv an und arbeiten dabei auch eng mit den deutschen Auslandsvertretungen ­zusammen. Gemeinsam schauen wir, was in den Ländern umsetzbar ist und wo unser Engagement einen Mehrwert hat. 

Viele Arbeitsgruppen haben sich eine Stärkung der Arbeit von Frauen gewünscht. In vielen Religionen spielen Frauen allerdings nicht unbedingt die Hauptrolle . . .
Nur 15 Prozent der Konferenzteilnehmer waren Frauen. Das hat sich einfach daraus ergeben, dass wir leitende Geistliche einladen wollten – und in fast allen Religionen sind das Männer. Daran konnten wir nicht viel verändern. Daher fand ich es ein gutes Zeichen, dass die Rolle der Frauen in den Arbeitsgruppen immer wieder zum Thema gemacht wurde. Wir nehmen diesen Punkt mit ins weitere Nachdenken.

Wird das Format der Konferenz selbst fortgesetzt? 
Das Fazit war so positiv, dass wir den Ansatz fortführen wollen. Vielleicht nicht jedes Jahr, aber doch alle zwei Jahre in größerem Rahmen. In der Zwischenzeit können wir eher mit regionalem Fokus arbeiten.

Interview: Janet Schayan

Dr. Silke Lechner ist stellvertretende Leiterin des Arbeitsstabes„Friedensverantwortung der Religionen“ im Auswärtigen Amt. Zuvor war die Politikwissenschaftlerin Studienleiterin des Deutschen Evangelischen Kirchentags.

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