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Kann der Wald das Klima retten?

In der Klima-Diskussion rückt der Wald als CO2-Speicher immer mehr in den Vordergrund. Wie groß ist das Potenzial? Ein deutscher Forscher weiß es.

18.09.2019
Herbstwald in Deutschland
Herbstwald in Deutschland © dpa

Herr Dr. Lindner, kürzlich hat eine Studie der ETH Zürich für Aufsehen gesorgt, weil sie besagt, dass allein durch zügiges Aufforsten weltweit das Klimaziel erreicht werden könnte. Ist das realistisch?
Nein, das ist nicht realistisch. Selbst wenn die Aufforstungen annähernd in dem aufgezeigten Umfang realisiert werden könnten, würde es zu lange dauern. Wir müssen schnellstmöglich die Emissionen verringern, sonst sind die im Paris-Agreement vereinbarten Klimaschutz-Ziele nicht erreichbar. Aufforstungen und andere Klimaschutzstrategien durch Waldnutzung können einen Beitrag leisten, aber nur im Zusammenspiel mit anderen Klimaschutz-Maßnahmen. Es gilt ganz besonders bestehende Wälder zu erhalten, an den bereits stattfindenden Klimawandel anzupassen und widerstandsfähiger zu machen gegenüber diversen biotischen und abiotischen Störungen durch Borkenkäfer oder Waldbrände.

Dr. Marcus Lindner, Principal Scientist beim Europäischen Forstinstitut (EFI) in Bonn
Dr. Marcus Lindner, Principal Scientist beim Europäischen Forstinstitut (EFI) in Bonn © privat

In Indien sollen vor Kurzem an einem Tag 220 Millionen Bäume gepflanzt worden sein, in Äthiopien sogar 350 Millionen. Wäre eine vergleichbare Aktion auch in Deutschland denkbar?
Unsere Wälder haben sich in den letzten 150 Jahren wieder stark ausgebreitet und sind ökologisch nicht mit den ausgeräumten Landschaften zu vergleichen, die nach dem Zweiten Weltkrieg großflächig mit Nadelhölzern bepflanzt wurden. Eine weitere Erhöhung des Waldanteils ist in vielen Bundesländern nicht erwünscht und dort, wo Waldflächenanteile unterdurchschnittlich sind, wird das Land anderweitig intensiv genutzt. In Deutschland geht es aktuell daher nicht um Aufforstung zur Waldvermehrung, sondern darum, die von Schäden betroffenen Flächen wieder zu bewalden. An  vielen Standorten bedarf es hierfür gar keine Pflanzung, weil die nächste Baumgeneration bereits unter dem Schirm der Altbäume herangewachsen ist. Wo das nicht der Fall ist, brauchen wir Pflanzungen. Es geht da auch um Millionen Jungpflanzen – aber nicht um hunderte Millionen pro Tag. Wichtig ist, dass wir die richtigen Baumarten auswählen, diese in ausreichender Menge zur Verfügung stellen können und sie dann sachgerecht gepflanzt werden.

Importländer tragen auch Verantwortung für Waldverluste in den Tropen
Dr. Marcus Lindner, Principal Scientist beim Europäischen Forstinstituts (EFI)

Brasilien zeigt eine andere Realität. Was bräuchten wir, um dem Wald als CO2-Speicher international gerecht zu werden?
Deutschland trägt mit anderen Importländern durchaus auch Verantwortung für Waldverluste wie in Brasilien oder im Kongobecken in Afrika, wo intakte Tropenwälder für Agrar- oder Weideflächen gerodet werden. Die erste Priorität sollte in jedem Fall die Vermeidung von Waldverlusten sein, beispielsweise durch strikte Verbraucherpolitik und Bann von Entwaldung fördernden Produkten wie Palmöl oder Soja. Der zweite Fokus sollte auf der Begrenzung oder noch besser der Vermeidung von Waldverlusten durch Störungen liegen. Hier kann viel mehr Prävention betrieben werden, was ungleich günstiger kommt und effektiver ist als die Schadensbegrenzung, wenn es großflächig brennt oder eine Insektenbefall um sich greift. Außerdem müssen wir das Gesamtsystem im Blick behalten und nicht nur die Waldbestände. Großes Potenzial bietet der Bau mit Holz, denn er bindet CO2 und verhindert CO2-Emissionen, wenn Bauholz Stahl oder Beton ersetzt.

Interview: Martin Orth

*Dr. Marcus Lindner ist Principal Scientist beim Europäischen Forstinstitut (EFI) in Bonn. Der Hauptsitz des EFI ist in Joensuu (Finnland). Die internationale Organisation versteht sich als Think Tank der Forstwirtschaft und arbeitet an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis.

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