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„Klimawandel ist der größte Konfliktfaktor“

Nisreen Elsaim ist Klimawandeldiplomatin und arbeitet als „Richard von Weizsäcker Fellow“ in Berlin. Sie erzählt von ihrem Engagement und ihrer Zeit in Deutschland. 

Luca Rehse-KnaufLuca Rehse-Knauf , 07.11.2024
Nisreen Elsaim formt ein C für „climate change“.
Nisreen Elsaim formt ein C für „climate change“. © Nisreen Elsaim

Nisreen Elsaim beriet bereits UN-Generalsekretär António Guterres zu Klimawandelstrategien und wurde vom französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron für ihr Engagement geehrt. Dann musste sie mit ihrem Sohn ihr Heimatland Sudan verlassen. Die 30-jährige Aktivistin setzt sich seit 2012 für mehr Klimagerechtigkeit ein und blickt auf ein bewegtes Jahrzehnt zurück. 2024 lebt und arbeitet sie als „Richard von Weizsäcker Fellow“ der Robert Bosch Academy in Berlin. 

Elsaim hat an der Universität der sudanesischen Hauptstadt Khartum Physik und erneuerbare Energien studiert und arbeitete danach in verschiedenen Positionen für die Vereinten Nationen – auch als Vorsitzende der „UN Secretary General Youth Advisory Group on Climate Change” oder als Junior-Verhandlungsführerin der Afrikanischen Verhandlungsgruppe für Technologietransfer. Sie verfolgt dabei einen ganzheitlichen Ansatz, der den Klimawandel auch in Hinsicht auf die Themen Sicherheit und Frieden betrachtet. Dass dies notwendig ist, weiß sie aus persönlicher Erfahrung.

Klima, Frieden und Sicherheit 

Als im April 2023 der Konflikt zwischen den sudanesischen Streitkräften und den „Rapid Support Forces“ eskalierte, musste Elsaim mit ihrem Sohn fliehen. „Wir haben alles verloren. Ich konnte lediglich einen Rucksack mit Windeln mitnehmen“, erzählt sie. Die Zerstörungen waren groß, viele Menschen starben. Ohne ein Mindestmaß an Stabilität im Land sei es nahezu unmöglich, etwas für den Klimaschutz zu tun. „Leider sagt der Klimawandel nicht: ‚Nun ja, diese Menschen haben es ohnehin schon schwer, also werde ich ihnen eine Pause gönnen.‘ Nein, er trifft die Schwächsten und Verletzlichsten am stärksten.“

Nisreen Elsaim setzt sich bereits seit 2012 für Klimaschutz ein.
Nisreen Elsaim setzt sich bereits seit 2012 für Klimaschutz ein. © Nisreen Elsaim

Sudan und andere Länder der Sahelzone und in Subsahara-Afrika sind in mehrfacher Hinsicht vom Klimawandel betroffen. Zum einen treten Extremwetterereignisse wie Dürren und Überflutungen häufiger und stärker auf als in anderen Regionen. Zum anderen fehlt vielen Ländern die Infrastruktur, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen oder sich anzupassen. Das wiederum verstärke bestehende Konflikte oder löse gar neue aus. „Der Klimawandel ist heute einer der größten Konfliktfaktoren, vor allem in Regionen, in denen Wasser- und Nahrungsmittelknappheit eine Rolle spielen. Es gibt einen sehr offensichtlichen Zusammenhang zwischen Klima und Frieden.“ Daher werden Klima, Frieden und Sicherheit nicht nur von Nisreen Elsaim, sondern auch in der Klimaaußenpolitik des Auswärtigen Amts als zusammenhängende Themen betrachtet.

Im Januar 2024 ist Elsaim wieder nach Sudan gereist. „In einer 18-stündigen Bootsfahrt bin ich von Dschidda in Saudi-Arabien in die Küstenstadt Port Sudan gefahren“, schildert sie. Sie wollte sich ein Bild von der humanitären Lage machen. Die Situation sei sehr schlecht gewesen. „Das Gesundheitssystem ist kollabiert, das Denguefieber verbreitet sich, es gibt kaum Dienstleistungen und viele Menschen schlafen in Schulen und alten Krankenhäusern.“ Elsaim engagiert sich mit mehreren Projekten vor Ort und organisiert etwa Hygieneeinrichtungen für Frauen und Neugeborene. „Viele junge Menschen haben außerdem nichts zu tun. Sie konnten ein Jahr nicht zur Schule gehen, viele kämpfen auch mit Depressionen. Wir versuchen, sie zu beschäftigen.“

Nisreen Elsaim spricht 2023 auf einer Veranstaltung im Genfer UN-Sitz.
Nisreen Elsaim spricht 2023 auf einer Veranstaltung im Genfer UN-Sitz. © picture alliance/KEYSTONE | SALVATORE DI NOLFI

Khartum, Berlin und New York City 

2024 wurde Elsaim als Fellow der Robert Bosch Academy nominiert. Ziel ist es, die Stipendiatinnen und Stipendiaten nach Deutschland und in den Dialog mit Menschen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zu bringen. „Das ist total klasse, weil man einerseits institutionelle Unterstützung bekommt, aber auch eigene Projekte umsetzen kann. Außerdem ist die Community der Stipendiaten toll“, sagt Elsaim. Dazu gehören hochrangige Politikerinnen und Politiker wie ehemalige Ministerinnen und Minister sowie renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Außerdem eigne sich der Standort Berlin gut für den Aufenthalt, so Elsaim. „Deutschland hat ein gutes Profil in Sachen Klimawandel, Frieden und Sicherheit, zum Beispiel mit eigenen Abteilungen im Auswärtigen Amt und der Internationalen Klimaschutzinitiative.“

Während ihrer Zeit in Deutschland hat sie auf einem Panel der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bei der Münchner Sicherheitskonferenz über Wasserkonflikte gesprochen. Kürzlich hat sie gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt, italienischen Ministerien, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, der Denkfabrik adelphi und der Robert Bosch Academy eine Diskussionsveranstaltung am Rande der UN-Generalversammlung in New York organisiert: „From Youth to Leaders: Advancing Climate Resilience and Global Peace“. Im November 2024 endet ihr Stipendium in Berlin. „Ich war so glücklich, hier zu sein. Ich hatte das Gefühl, eine Familie zu haben, nachdem meine Familie wegen des Krieges über die ganze Welt verstreut wurde. Ich fühlte mich hier wirklich zugehörig.“ Wie es danach weitergeht, ist offen. Fest steht, dass sie sich weiter für Klimaschutz, Frieden und Sicherheit einsetzen möchte.