Die Rückkehr der Wölfe
175 Jahre galt der Wolf als ausgerottet, heute ziehen wieder über 200 Rudel durch Deutschland. Forschende lernen viel von Polen, auch wie das Zusammenleben mit dem Wildtier gelingt.
Frau Kluth, wie verbindet der Wolf Deutschland und Polen?
Die Rückkehr des Wolfes ist eng verbunden mit den politischen Umbrüchen in Europa. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs waren die Tiere in den kommunistischen Staaten vogelfrei, sie wurden getötet, wo man sie traf. Es blieben aber Rückzugsräume, in denen einige Tiere überlebten, zum Beispiel im Osten Polens.
Dann kam 1989 plötzlich die Wende...
... und mit dem neuen politischen System aus dem Westen auch ein neuer Artenschutzgedanke. Seit 1998 ist der Wolf in Polen streng geschützt. Und weil Wölfe einen biologischen Drang haben, zu wandern, dauerte es nicht lange, bis die ersten Tiere über die deutsch-polnische Grenze nach Deutschland kamen, die sich hier niederlassen und vermehren konnten.
Wie haben Sie diese Entwicklung damals erlebt?
Als ich 1996 meine Diplomarbeit geschrieben habe, musste ich noch nach Estland reisen, um Wölfe zu erforschen. Gemeinsam mit polnischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern habe ich danach die Verbreitung der Wölfe in Polen und Ostdeutschland untersucht. Einzelne Rüden kamen immer wieder über die Grenze. Aber erst im Jahr 2000 gab es die erste Reproduktion, weil endlich auch eine Wölfin eingewandert war und in der Muskauer Heide einen Partner gefunden hatte.
Es zeigte sich, dass sehr viele Wölfe, die heute in Deutschland leben, von der polnischen Wölfin abstammen, die im Jahr 2000 als erste in Deutschland Welpen geboren hat.
Und dann eine Familie gründete?
Ja, das war für mich wahnsinnig spannend. Es waren die ersten Wolfswelpen in Deutschland seit der Ausrottung 1850. Plötzlich musste ich nicht mehr reisen, sondern konnte vor der Haustür forschen. Deshalb habe ich 2002 in der Nähe des ersten Wolfsrudels, in Spreewitz, gemeinsam mit Ilka Reinhardt das LUPUS-Institut für Wolfmonitoring und -forschung gegründet.
Und Sie haben weiter intensiv mit polnischen Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet.
Wir Deutschen haben viel von den Polen gelernt, sie hatten ja viel mehr Erfahrung als wir im Wolfsmonitoring. Unser Vorgehen, zu untersuchen, wie viele Wölfe es gibt, wo sie leben und wie sie sich verhalten, basiert stark auf dieser Erfahrung. Wir haben in Deutschland und Polen gemeinsam viele Seminare gegeben, Förstern und anderen interessierten Menschen beigebracht, wie sie Wolfsspuren erkennen und Daten sammeln können, um das Monitoring zu unterstützen.
Welche Daten sind für das Monitoring wichtig?
Wölfe sind sehr vorsichtig, aber ab und zu lässt sich einer blicken. Solche Sichtungen werten wir aus, vor allem nutzen wir aber automatische Wildkameras. Wir werden auch gerufen, wenn jemand einen toten Wolf findet oder mit dem Auto einen Wolf angefahren hat. Aber sonst muss man Wolfsspuren gezielt suchen – nicht nur Pfotenabdrücke, sondern auch Losungen.
Sie meinen Häufchen?
Genau. Die liefern uns genetische Daten: Was hat der Wolf gefressen? Welches Individuum ist es? Unsere Forschung ist manchmal tatsächlich etwas sonderlich, aber die Erkenntnisse sind faszinierend. In den ersten Jahren hat das Krakauer Institut der Polnischen Akademie der Wissenschaften die von uns gesammelten genetischen Proben ausgewertet. Später übernahm diese Aufgabe das Senckenberg Institut für Naturschutzgenetik in der Nähe von Frankfurt.
Welche Geschichten erzählen die Häufchen?
Es zeigte sich, dass sehr viele Wölfe, die heute in Deutschland leben, von der polnischen Wölfin abstammen, die im Jahr 2000 als erste in Deutschland Welpen geboren hat. Manche ihrer Nachkommen sind auch wieder zurück nach Polen gewandert und haben dort neue Territorien gegründet. Diese genetischen Spuren zeigen, wie eng die Populationen beider Länder verbunden sind – und warum länderübergreifende Forschung so wichtig ist.
In Polen ist der Umgang mit wilden Tieren etwas entspannter, dort gibt es ja auch Bären und Wisente.
Was ist das Ziel Ihrer Forschung?
Unser Ziel ist der Artenschutz. Dazu gehört auch die Frage, wie Mensch und Wolf möglichst konfliktfrei zusammenleben können. Wölfe waren in Deutschland ausgerottet, jetzt sind sie wieder da. Aber wie viele sind es? Wie geht es ihnen? Ist die Population groß und gesund genug, um sicher überleben zu können? Mit unserem Monitoring untersuchen wir grob gesagt, wo ein Wolfsterritorium aufhört und ein anderes beginnt. Mittlerweile gibt es wieder 219 Rudel in Deutschland. Wir untersuchen aber auch, ob einzelne Tiere ein Verhalten zeigen, das wir Menschen nicht akzeptieren können. Diese Tiere werden dann im Einzelfall auch getötet.
Gehört der Wolf also zu Deutschland?
Der Wolf gehört auf jeden Fall zu Deutschland. Unsere Geschichte ist geprägt von Wölfen – das zeigt sich in den Märchen der Gebrüder Grimm, in vielen Städtenamen und in Vornamen wie Wolfgang. Und wenn wir das liebste Haustier der Deutschen, unseren Hund, anschauen, dann ist uns der Wolf ganz nah. Aber meine Erfahrung der vergangenen 25 Jahre zeigt auch: In unserer modernen Welt funktioniert das Zusammenleben mit Wölfen nicht mehr „einfach so“. Wir brauchen Vermittler, die den Menschen erklären, ob sie Angst haben müssen oder nicht. In Polen ist der Umgang mit wilden Tieren etwas entspannter, dort gibt es ja auch Bären und Wisente. Vielleicht lernen wir von Polen, dass man mit wilden Tieren nicht nur leben, sondern auch gelassen umgehen kann.
Zur Person
Gesa Kluth, geboren 1970 bei Göttingen, ist Biologin und Mitgründerin des LUPUS-Instituts für Wolfsmonitoring und -forschung in Spreewitz. Sie zählt zu den führenden Expertinnen für die Rückkehr des Wolfs nach Deutschland. Kluth erforscht seit den 1990er-Jahren das Verhalten und die Ausbreitung der Tiere, arbeitet eng mit polnischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen und berät Behörden zu Fragen des Wolfsmanagements.