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Wegbereiter für digitale Landwirtschaft

Kleinbauern spielen in Afrika eine zentrale Rolle für die Ernährungssicherheit: Kizito Odhiambo steigert mit seinem deutsch-kenianischen Startup ihre Erträge. 

Clara KrugClara Krug, 15.03.2024
Kizito Odhiambo, Gründer von Agribora
Kizito Odhiambo, Gründer von Agribora © Tim Wegner

Sie leben internationale Vernetzung: Wir stellen Menschen vor, die für Deutschlands Partnerschaften weltweit stehen. Denn globale Aufgaben lassen sich nur gemeinsam bewältigen. 

Ein eigener Garten, der das kleine Glück bedeutet? Kizito Odhiambo schmunzelt freundlich. Dann muss er über die Vorstellung, am Wochenende in einem deutschen Schrebergarten Unkraut zu rupfen, Obstsamen zu säen und Gemüse zu ernten, laut lachen. „Nein, nein“, sagt er. „Wir hatten zwar mal einen Garten, aber ich habe wirklich keinen grünen Daumen.“ 

Das mag erst einmal verwundern. Denn der 33 Jahre alte Kenianer hat in Darmstadt im Rhein-Main-Gebiet eine Fin-Tech-Plattform gegründet, bei der es um den Anbau von Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchten auf kleinen Flächen geht. Mit deutschen Schrebergärten hat das jedoch wenig zu tun. Agribora, so der Name der digitalen Plattform, unterstützt Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Kenia dabei, ihre Ernten zu verbessern. 

Landwirtschaft zentral für Ernährungssicherheit in Kenia

Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Kenia arbeiten im Agrarsektor.
Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Kenia arbeiten im Agrarsektor. © Agribora

Die Landwirtschaft ist ein zentraler Wirtschaftsfaktor in Kenia. Viele Menschen arbeiten als Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Mit den angebauten Lebensmitteln versorgen sie ihre Familien und verkaufen einen Teil der Ware weiter, haben also eine Erwerbsquelle. Ihr Leben und das ihrer Familien hängt von der Landwirtschaft ab. Doch durch den Klimawandel kommt es immer wieder zu Schwankungen in der Erntemenge – die Existenz der Kleinbauern steht dann auf dem Spiel und mit ihr die Ernährungssicherheit im Land. 

Wie Agribora die kenianische Agrarwirtschaft stärkt

Agribora – der Name setzt sich aus dem griechischen Wort „Agros“ für „Feld“ und dem Suaheli-Wort „Bora“ für „besser“ zusammen – macht den Lebensmittelanbau und damit den Erwerb der Menschen sicherer. Das Startup vernetzt Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auf einer Plattform miteinander und informiert sie unter anderem über die Wetteraussichten. Die Nutzerinnen und Nutzer können so den besten Zeitpunkt für Saat und Ernte bestimmen. Dafür greift Agribora auf Satellitendaten der Europäischen Weltraumorganisation ESA zurück. Deren Satellitenkontrollzentrum ESOC (European Space Operations Centre) befindet sich in unmittelbarer Nähe von Kizito Odhiambos Büro in Darmstadt. „Die ESA ist ein wichtiger Förderer von Agribora. Bereits in einer dritten Finanzierungsrunde erhalten wir finanzielle Unterstützung durch die Europäische Weltraumorganisation, zudem fördern uns deutsche Investoren“, sagt Odhiambo. 

Nach dem Freiwilligen Sozialen Jahr ein Studium in Deutschland

Kizito Odhiambo in seinem Darmstädter Büro
Kizito Odhiambo in seinem Darmstädter Büro © Tim Wegner

Dass er heute in der Agrarwirtschaft arbeitet, überrascht Odhiambo manchmal selbst. Nach dem Schulabschluss in Kenia entschied er sich zunächst für ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Einrichtung für geistig benachteiligte Kinder und Jugendliche in Norddeutschland. „Die Einrichtung hätte mich gerne weiter beschäftigt, aber ich hatte einen anderen Plan“, erinnert er sich. „Ich wollte Autos bauen und weil Deutschland bekannt für seine Automobilindustrie ist, entschied ich mich für ein Ingenieurstudium in Darmstadt.“ Während des Studiums arbeitete er als Werkstudent beim Autohersteller Opel. Einen Teil seines Gehalts schickte er an seine Mutter in Kenia, die sich am Viktoriasee eine Existenz als Kleinbäuerin aufbaute und mit dem Geld Saatgut und Düngemittel kaufen konnte. 

„Bei einem Besuch dort fiel mir auf, wie viel sie verbessern und dass sie ihren Ertrag steigern könnte – da kam der Ingenieur in mir durch.“ Wenn seine Mutter und andere Kleinbauern Zugriff auf Wetterdaten erhielten, könnten sie Saat und Ernte danach ausrichten, dachte Odhiambo. Er sah darin ein Geschäftsmodell: Per SMS wollte er Bäuerinnen und Bauern die Informationen zur Verfügung stellen und dafür einen kleinen Betrag erhalten. „Meine Mutter fand die Idee gut, wir organisierten ein Treffen mit anderen Kleinbauern. Eine von ihnen stand plötzlich auf und sagte, sie finde den Vorschlag zwar gut, werde aber niemals Geld für die Informationen zahlen.“

Fintech-Plattform für den Agrarsektor

Das Geld brauchte die Bäuerin, um Saatgut zu kaufen – und eigentlich brauchte sie auch jemanden, der ihr die Ernte abnimmt. „Die Frau hieß Clementine. Bis heute bin ich ihr für ihren Einwand sehr dankbar, denn er traf den Kern meiner späteren Geschäftsidee”, so Odhiambo. „Es geht um mehr als um valide Informationen zum Wetter. Es muss auch die Strukturen geben, über die sich die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vernetzen können – zum Beispiel mit Verkäufern von Saatgut und Düngemitteln und mit Abnehmern ihrer Ernte.“ Besonders wichtig sei ein weiterer Punkt: Wer sich in der Agrarwirtschaft eine Existenz aufbauen wolle, benötige meistens ein kleines Startkapital. Doch Banken schreckten oft davor zurück, Kleinbauern einen solchen Mikrokredit zu gewähren. „Unter anderem, weil ihnen zu wenig Informationen und Daten über den möglichen Kreditnehmer vorliegen“, erläutert Odhiambo. 

Kredite für den Start

Agribora
© Agribora

Mit seiner Fintech-Plattform Agribora möchte er diese Probleme lösen. Odhiambo erinnert sich an George, einen Mann, der wie seine Mutter am Viktoriasee lebt. „George wollte einen Laden eröffnen und darin Produkte für Kleinbauern verkaufen, also Werkzeuge, Saatgut, Düngemittel und so weiter. Doch ihm fehlte Startkapital, um den Laden einzurichten und Waren zu kaufen.“ Agribora gewährt in solchen Fällen einen Kredit von umgerechnet 300 Euro. George eröffnete damit seinen Laden und informiert heute Kleinbauern mit Hilfe der Plattform über sein Angebot. Bäuerinnen und Bauern wie Clementine kaufen bei ihm ein, säen bei günstigen Wetterbedingungen, ernten zu einem guten Zeitpunkt und verkaufen ihre Ernte an George, der die Lebensmittel in seinem Laden anbietet.

„Menschen wie George und Clementine können über unsere Plattform ihre Transaktionen abbilden – das sorgt für Transparenz und kann wichtig sein, um einen größeren Kredit bei Banken zu erhalten“, so Odhiambo. Mehr als 12.000 Menschen sind derzeit bei Agribora registriert, 60 Prozent von ihnen sind Frauen.

Weltweite Ernährungssituation verbessern

Aus der Geschäftsidee ist innerhalb weniger Jahre ein kleines Startup herangewachsen. 20 feste Mitarbeitende beschäftigt Agribora in Deutschland und Kenia. Neben Geschäftsführer Kizito Odhiambo arbeiten vier Personen in Deutschland. „Sie befassen sich vor allem mit dem Datenmanagement und der Software. Unsere Angestellten in Kenia sind überwiegend in den Bereichen Sales und Business Development beschäftigt“, erläutert Odhiambo, der mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Deutschland lebt und regelmäßig nach Kenia reist. „Ich bewege mich kulturell zwischen zwei verschiedenen Welten, das ist manchmal gar nicht so einfach. Bei meiner Arbeit sehe ich aber, dass wir uns im Team gegenseitig bereichern, und finde, dass es viel mehr solcher Partnerschaften auf geschäftlicher Ebene geben sollte“, so Odhiambo. Seine Geschäftsidee würde er gerne in weiteren Ländern in Afrika etablieren. „Ich glaube fest daran, dass Afrika sich selbst ernähren kann – ich denke sogar, dass Afrika die Welt ernähren könnte. Der Kontinent hat alles, was dazu nötig ist.“ 

Den Schrebergarten, den seine Frau und er einmal in Darmstadt hatten, gab die Familie vor einiger Zeit auf. „Ich bin niemand, der den Pflanzen gerne beim Wachsen zuschaut. Für mich müsste da überall Technik sein, die alles optimiert. Zum Beispiel Sensoren, die die Temperatur und den Wasserbedarf anzeigen.“ Sein Glück hat Kizito Odhiambo auf den Äckern der anderen gefunden.