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„Ein Signal für Freihandel und gegen Protektionismus“

Nach langen Verhandlungen ist das EU-Mercosur-Abkommen auf der Zielgeraden. Orlando Baquero vom Lateinamerika Verein sieht darin politische und wirtschaftliche Chancen für beide Seiten.

Helen SibumInterview: Helen Sibum, 25.11.2025
Containerschiff am Hafen von Rio de Janeiro
Containerschiff am Hafen von Rio de Janeiro © picture alliance / Anadolu | Fabio Teixeira

Über das EU-Mercosur-Abkommen wurde mehr als 25 Jahre verhandelt, jetzt fehlt nur noch die Ratifizierung durch die einzelnen EU-Staaten. Manche hoffen, dass das noch dieses Jahr geschieht. Halten Sie das für realistisch?

Dieses Jahr wird das Abkommen sicher nicht mehr in Kraft treten, ich rechne eher mit der zweiten Jahreshälfte 2026 oder Anfang 2027. Ich bin positiv gestimmt, dass es durchgeht, auch weil die Konsequenzen andernfalls gravierend wären. Die EU verlöre dann ihre Glaubwürdigkeit gegenüber den Mercosur-Ländern und diese würden sich andere Partner suchen. 

Gut vernetzt

Orlando Baquero
© privat

Orlando Baquero ist Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika Vereins. Die Organisation wurde 1916 von Hamburger und Bremer Kaufleuten und Politikern gegründet. Sie ist Teil der Lateinamerika-Initiative der deutschen Wirtschaft und unterstützt deutsche Unternehmen bei ihren Aktivitäten in Lateinamerika und der Karibik durch Beratung und Vernetzung.

Warum haben die Verhandlungen über das Abkommen so lange gedauert?

Es ist ein sehr komplexer Vertrag, in dem es nicht nur um Freihandel, sondern auch um viele weitere Komponenten geht. Außerdem gab es lange keine Dringlichkeit, der Druck aus der europäischen Wirtschaft war gering, für sie war Asien der wichtigste Wachstumsmarkt. Zugleich hatten beide Seiten andere, interne Prioritäten: Die EU konzentrierte sich auf ihre Erweiterung, die großen Mercosur-Staaten Argentinien und Brasilien auf ihre Regierungswechsel. Und schließlich gab es in der EU viel Kritik am früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Mit dem Wechsel zum jetzigen Präsidenten Lula öffnete sich wieder ein Weg.

Mit dem Abkommen schafft man in einer großen Region stabile Gegebenheiten, um Wirtschaft zu treiben.
Orlando Baquero, Lateinamerika Verein

Die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump hat den Druck vermutlich erhöht.

Ja. Die USA sind kein verlässlicher Partner mehr. Mit dem EU-Mercosur-Abkommen schafft man in einer großen Region stabile Gegebenheiten, um Wirtschaft zu treiben. Es ist ein internationales Signal für Freihandel und gegen Protektionismus.

Welche Vorteile erhoffen sich deutsche Unternehmen konkret von dem Abkommen?

Deutsche Unternehmen zahlen heute Zölle, wenn sie in den Mercosur-Staaten Waren verkaufen: Bei Maschinen bis zu 20 Prozent, bei Autos 35 Prozent, bei Chemie- und Pharmaerzeugnissen zwischen 15 und 20 Prozent. Das sind unsere wichtigsten Exportgüter in die Region. Mit dem Abkommen fallen bis zu 90 Prozent dieser Zölle weg. Außerdem bekommen deutsche Unternehmen Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in den Mercosur-Ländern. Deutsche Ingenieursbüros und Technologieunternehmen könnten dort also die Modernisierung vorantreiben. 

Könnte das Abkommen auch die Investitionstätigkeit von Unternehmen aus den Mercosur-Ländern in Deutschland erhöhen?

Mit Sicherheit. In vielen Branchen sind die Mercosur-Länder viel weiter als wir in Deutschland, Argentinien etwa in der Agrarindustrie und Brasilien bei Finanztechnologien – die größte digitale Bank der Welt ist brasilianisch. Diese Unternehmen werden Europa verstärkt ins Blickfeld nehmen. 

Ich finde die Kritik am Abkommen nachvollziehbar, aber nicht gerechtfertigt.
Orlando Baquero, Lateinamerika Verein

Kritiker des Abkommens sehen Risiken für das Klima und den Artenschutz sowie die Menschenrechte. Finden Sie die Kritik nachvollziehbar?

Ich finde sie nachvollziehbar, aber nicht gerechtfertigt. Klima, Artenschutz und Menschenrechte sind wichtige Themen, aber negative Entwicklungen in diesen Bereichen haben nicht unbedingt mit dem Abkommen zu tun. Man verkauft nichts, was nicht auf Nachfrage stößt. Durch das Abkommen wird die Nachfrage auch nicht erhöht. Vielmehr gibt uns das Abkommen eine Plattform, um im Dialog zu sein und gemeinsam darauf hinzuwirken, dass die lokale Gesetzgebung Entwaldung oder die Benachteiligung von Indigenen verhindert. 

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Automobil- und Maschinenbauindustrie in den Mercosur-Staaten durch das Abkommen geschädigt werden könnte. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Sicher werden durch das Abkommen neue Technologien in die Mercosur-Länder kommen. Und natürlich kann es sein, dass Unternehmen, die mit veralteten Technologien arbeiten und sich nicht verändern, aus dem Markt scheiden. Wie bei jeder wirtschaftlichen Veränderung wird es Gewinner und Verlierer geben, aber ich glaube, die Zahl der Verlierer wird minimal sein. 

Handelsabkommen zwischen der EU und Lateinamerika sowie der Karibik

  • seit 2000: mit Mexiko (Modernisierung steht vor der Ratifizierung)
  • seit 2003: mit Chile (modernisierte Version vorübergehend in Kraft seit 2025)
  • seit 2008: mit den CARIFORUM-Staaten
  • seit 2012: mit den zentralamerikanischen Ländern Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama
  • seit 2013: mit Peru und Kolumbien, 2017: Beitritt Ecuador
  • in Verhandlung: mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Bolivien, Paraguay, Uruguay

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