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Forscher berechnen Wind und Wellen

Ölpest verhindern: Israelisch-deutsches Forschungsteam entwickelt ein Frühwarnsystem für Katastrophen auf See.

Ruth Kinet, 20.03.2020
Professor Roberto Mayerle
Professor Roberto Mayerle © Uni Kiel

Die letzte große Ölpest ist erst wenige Monate her: Im August 2019 vergifteten etwa 600 Tonnen Rohöl den Atlantik vor der brasilianischen Küste. 200 Strände waren betroffen. Die Ursache ist bis heute nicht geklärt, vermutet wird die Sabotage einer Ölfeld-Auktion in Venezuela. Rund um den Globus gibt es immer wieder dramatische Öl-Katastrophen. Pipelines lecken, Bohrlöcher sind undicht, Öltanker verunglücken. Die Folgen für die Meere und die Küstenregionen sind dramatisch.

Von der Uni Kiel aus wird das Projekt koordiniert
Von der Uni Kiel aus wird das Projekt koordiniert © imago images

Ökologische, wirtschaftliche und gesundheitliche Schäden könnten aber begrenzt werden, wenn es gelänge, die Ausbreitung eines Ölteppichs durch Wind und Seegang vorherzusehen und Maßnahmen zu ergreifen, um möglichst größere Verunreinigungen von Meer und Küsten zu verhindern. Genau das möchte ein israelisch-deutsches Forscherteam erreichen. Seit 2019 arbeitet es unter Hochdruck an der Entwicklung eines automatischen und intelligenten Informationssystems, das im Katastrophenfall Frühwarnungen in Echtzeit abgibt, den Unglücksort exakt lokalisieren und präzise Prognosen über die Ausbreitung eines Ölteppichs geben kann. „Dartis“  heißt das bi-nationale Forschungsprojekt der Universität Kiel, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, der Universität Haifa und der Firma „Sea and Sun“. Das Forscherteam, das von Professor Roberto Mayerle in Kiel koordiniert wird, will das System bis 2022 entwickeln. Es soll zunächst vor der Küste Israels und später auch weltweit eingesetzt werden.

Ein Kreuzfahrtschiff im Suezkanal bei Port Said
Ein Kreuzfahrtschiff im Suezkanal bei Port Said © Uni Kiel

Port Said in Ägypten ist das erste Testgebiet

Als Testgebiet haben die Forscher Port Said auserkoren. Vor der Küste der Hafenstadt im Nordosten Ägyptens gibt es häufig Öl-Unfälle. Auf der Basis von Satellitendaten können die Forscher die Verunreinigung lokalisieren und über Modellsimulationen berechnen, in welche Richtung das Rohöl unter dem Einfluss von Wind und Seegang driftet. Aus dieser Berechnung können in einem nächsten Schritt Empfehlungen für Vorsorgemaßnahmen abgeleitet werden.

Für die Detektion dieser Öl-Verschmutzungen ist ein Team vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unter Leitung von Dr. Sven Jacobsen zuständig. „Wir eruieren Ausmaße und Koordinaten der Verschmutzung und geben unsere Daten dann an die Kollegen in Kiel und Haifa weiter, die den Transport der Verschmutzung simulieren“, erklärt Jacobsen. „Die israelischen Kollegen haben die besten lokalen Transportmodelle. Wenn wir das bestmögliche Modell haben, können wir gezielt hochauflösende Satellitenbilder für das Gebiet bestellen und das Ausmaß eines Öl-Unfalls umso exakter bestimmen. Das kann man dann auch auf die deutsche Bucht übertragen oder andere Orte, wo wir ein möglichst genaues Transportmodell haben.“

In solchen internationalen Projekten merkt den Kollegen die Nationalität kaum an.
Sven Jacobsen, Leiter des DLR-Teams für Dartis

Entscheidend für den Erfolg des gemeinsamen Projekts seien die Schnittstellen zwischen den Forschergruppen. „Jeder ist bei der Erarbeitung seiner Einzelbausteine im Projekt relativ autark und macht seinen Teil der Kette. Am Ende müssen dann die einzelnen Teile der Kette miteinander verheiratet werden“, sagt Jacobsen. Die Begegnungen mit seinen israelischen Kollegen erlebt er als sehr bereichernd. Interkulturelle Spannungen hat Jacobsen nicht wahrgenommen: „Meiner Erfahrung nach merkt man in internationalen Projekten wie diesem den Kollegen die Nationalität kaum an, denn bei der Problemlösung kommt es auf die Expertise als Ozeanograph, Meteorologe oder Physiker an. Es ist so wie man sagt: Wissenschaft verbindet.“

Austausch von Mitarbeitern fördert Zusammenarbeit

Neben regelmäßigen Treffen in Deutschland und Israel gibt es auch einen Austausch von Mitarbeitern. Eine Doktorandin der Uni Kiel wird im Sommer für mehrere Monate an das Institut für Ozeanographie nach Haifa gehen und dort im israelischen Team mitarbeiten. Zeitgleich werden zwei Mitarbeiter der Universität Haifa in Kiel im deutschen Team forschen.

Professor Isaac Gertman
Professor Isaac Gertman © privat

Professor Isaac Gertman leitet die Abteilung Physikalische Ozeanographie und Limnologie an der Universität Haifa und ist beeindruckt von der fachlichen Kompetenz der deutschen Kollegen. „Die Zusammenarbeit ist sehr erfolgreich und wir arbeiten auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Unser Forschungsfeld ist ganz neu und wir profitieren von dem Vorsprung, den die Kollegen in Kiel auf dem Feld der Daten-Assimilationssysteme und der künstlichen Intelligenz haben. Das Team von Professor Mayerle verfügt über eine sehr breite Datenbasis und daher ist die Verarbeitung dieser Daten in den selbstlernenden Elementen unseres Frühwarnsystems auch entsprechend ertragreich.“ Mayerle, der Projektkoordinator, der selbst Brasilianer ist, zeigt sich ausgesprochen zufrieden mit der „engen, sehr positiven Zusammenarbeit“. Für ihn, der schon ungezählte Kooperationsprojekte mit Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Erdteilen geleitet hat, ist „Dartis“ eines seiner besten Projekte, denn das wissenschaftliche Niveau, das Engagement und die Kommunikationskulturen der beteiligten Forscher aus Deutschland und Israel harmonieren sehr gut.

Corona-Virus behindert auch diese Projekt

Ob aber der Austausch der wissenschaftlichen Mitarbeiter zwischen Haifa und Kiel im Sommer wie geplant stattfinden kann, steht im Moment noch in den Sternen, denn zurzeit verwehrt die israelische Regierung aufgrund der weltweiten Ausbreitung des Corona-Virus Reisenden aus Deutschland die Einreise. In Zeiten digitaler Kommunikationsmittel wird der Virus den Erfolg dieses israelisch-deutschen Forschungsprojekts aber nicht  gefährden.

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