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Die Schule der Zukunft

Das deutsche Bildungssystem setzt auf neue Ideen. Forscherin Anne Sliwka engagiert sich für die innovative Unterrichtsmethode Deeper Learning. 

Klaus LüberKlaus Lüber , 01.02.2024
Schülerinnen und Schüler bei der Gruppenarbeit
Schülerinnen und Schüler bei der Gruppenarbeit © AdobeStock / Iakov Filimonov

Frau Professorin Sliwka, Sie sind Co-Leiterin des Pilotprojekts Deeper Learning. Worum geht es dabei?
Deeper Learning ist ein pädagogischer Ansatz, der über die Vermittlung grundlegender Fakten und Fähigkeiten hinausgeht und darauf abzielt, tiefgreifendes Verständnis, kritisches Denken, Problemlösungsfähigkeiten und die Anwendung von Wissen in realen Kontexten zu fördern. Es geht darum, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, ihr erworbenes Wissen und ihre Fähigkeiten kreativ und effektiv in verschiedenen Situationen einzusetzen.

Wie geht das konkret?
Zunächst erwerben die Schülerinnen und Schüler ein gemeinsames Wissensfundament zu einem bestimmten Thema. Das ist die Phase der Instruktion oder Aneignung. Darauf folgt eine Phase der intensiven Gruppenarbeit, in der sie an selbst gestellten Aufgaben weiterarbeiten. Und im dritten Schritt geht es darum, mit dem erworbenen Wissen ein konkretes Produkt zu entwickeln. Im Deeper Learning spricht man auch von authentischer Leistung. Und die wird dann auch benotet.

Das heißt, beim Deeper Learning gibt es keine Klassenarbeiten mehr?
Nein. Das Ziel ist es, den Schülern die Fähigkeit zu geben, Wissen wirklich konkret anzuwenden. Lernen soll vielseitiger, lebensnäher und relevanter werden. Und es soll den Erwerb von Kompetenzen fördern, die wir in Zukunft angesichts globaler Herausforderungen immer dringender benötigen: Kooperation, Kommunikation, kritisches Denken und Kreativität. Außerdem soll sich die Lernumgebung für außerschulische und digitale Lebenswelten öffnen. 

Bildungsforscherin Anne Sliwka
Bildungsforscherin Anne Sliwka © privat

Was kann man sich unter dieser authentischen Leistung vorstellen?
Das können unterschiedliche Dinge sein. In einem der von uns betreuten Gymnasien haben Schülerinnen und Schüler ihre Ergebnisse zum Thema Klimawandel als Konferenz organisiert. Da gab es dann Beiträge zu Fast Fashion, veganer Ernährung oder der US-Klimapolitik. Möglich sind auch Infografiken oder Podcasts. Manche Klassen kommen auf die Idee, Sozialprojekte in lokalen Gemeinden umzusetzen, etwa zur Gesundheitsaufklärung.

Die instruktive erste Phase von Deeper Learning hört sich an wie klassischer Unterricht. Ist das nicht eigentlich überholt?
Nein. Echte Kreativität braucht ein gemeinsames Wissensfundament. Eine Lerngruppe wird nur dann auf sinnvolle Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels kommen, wenn allen Beteiligten klar ist, was mit dem Begriff überhaupt gemeint ist. Erst auf Grundlage einer Wissensbasis ist selbstorganisiertes Lernen effektiv. Deeper Learning ersetzt also nicht altes durch neues Lernen, sondern kombiniert beides auf sinnvolle Weise.

In welchen deutschen Schulen kommt die Lehrmethode bereits zum Einsatz?
In unserem Pilotprojekt Deeper Learning für die Robert Bosch Stiftung konzentrieren wir uns auf ein Netzwerk von acht weiterführenden Schulen in Baden-Württemberg, die wir wissenschaftlich begleiten. Parallel dazu haben wir für die Telekom ein Netzwerk mit 16 Schulen in ganz Deutschland aufgebaut. In Ländern wie Kanada und Australien wird Deeper Learning bereits in vielen Schulen erfolgreich eingesetzt. Wir sollten die großen Potenziale der Lernmethode auch für Deutschland nutzen. 

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Professor Dr. Anne Sliwka ist Bildungswissenschaftlerin an der Universität Heidelberg und Gründerin der Deeper Learning Initiative.