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Mobilität von morgen planen

Der Architekt und Vordenker für nachhaltiges Bauen, Professor Dr. Werner Sobek, im Gespräch über die Zukunft von Wohnen und Mobilität.

13.08.2012
© A.T. Schäfer, Stuttgart - Werner Sobeck

Herr Professor Sobek, was macht Ihr Einfamilienhaus in Berlin zum Vorbild für die Zukunft von Wohnen und Mobilität?

Das Plusenergiehaus ermöglicht einer vierköpfigen Familie in allem Komfort zu leben, den man heute von einem modernen Gebäude erwarten darf. Hierzu zählen thermischer und visueller Komfort, individuelle Steuerbarkeit und Anpassbarkeit des Hauses. Die Familie muss nie Sorgen haben, hohe Nebenkosten zu bezahlen, denn die Heizung des Hauses erfolgt über regenerative Energien. Die erzeugte Energie reicht nicht nur aus, das Haus mit Strom zu versorgen, sondern auch, um die Batterie des dazugehörigen Elektroautos aufzutanken. Das Gebäude ist völlig emissionsfrei, beim Um- und Abbau recycelbar, und es erfüllt alle Anforderungen der neuen europäischen Gebäuderichtlinie.

Warum ist es für Sie so wichtig, über gemeinschaftliche Lösungen aus der Bau- und Verkehrstechnik nachzudenken?

Architekten und Ingenieure betrachten oft nur die Grenzen des von ihnen geplanten Gebäudes. Es ist aber wichtig, Gebäude als Bestandteil eines urbanen Gewebes zu verstehen. Mobilität ist ein wichtiger Bestandteil dieses urbanen Gewebes, und deshalb müssen Architekten und Ingenieure auch angemessene Lösungen für die Mobilität von morgen in ihren Planungen berücksichtigen. Dies gilt in Ländern mit wachsender Bevölkerung noch mehr als in Deutschland. Es geht aber nicht nur darum, über gemeinsame Lösungen der Bau- und Verkehrstechnik nachzudenken: Planer von heute müssen lernen, Gebäude über den gesamten Lebenszyklus zu planen, ihre Gebäude als Einheiten zu betrachten, die nicht nur bei Planung und Bau, sondern auch bei Betrieb, Umbau und Rückbau Kosten produzieren.

Welche Synergien sehen Sie zwischen Bau- und Verkehrstechnik?

Synergien können bei der Planung und der Produktion entstehen. Die Automobil­industrie kann vielfach als Vorbild für das Bauwesen dienen: Dinge wie integrale Planung, Plattformstrategien, Recyclingquoten von 85 Prozent, die Betrachtung von Lebenszykluskosten – all das ist bei den großen Automobilherstellern schon eine Selbstverständlichkeit, wird im Bauwesen aber bislang kaum angewendet. Das Plus­energiehaus in Berlin ist ein weiteres Beispiel für die von mir bereits seit mehr als zehn Jahren mit Erfolg geplanten und gebauten Triple Zero Häuser, also Gebäude, die im Jahresschnitt nicht mehr Energie verbrauchen, als sie selbst erzeugen (Zero Energy), die keine Emissionen erzeugen (Zero Emissions) und die beim Um- oder Abbau sortenrein rezykliert werden können (Zero Waste). Wir brauchen solche Leuchtturmprojekte, um das Bewusstsein zu schärfen.

Energieeffizienz ist ein wichtiges Thema. Welche weiteren Aspekte sind beim nachhaltigen Bauen zu beachten?

Wir müssen uns endlich von unserer Fixierung auf die Energieeffizienz während der Nutzungsphase lösen. Deutschland ist zum Land der „Dichter und Dämmer“ geworden. Dabei ging der Blick auf das Ganze verloren: Wie viel Energie muss man für die Produktion und die Montage der Wärmedämmung aufbringen – und wie viel Energie spare ich mit ihr in einem Zeitraum von 20 oder 30 Jahren überhaupt ein? Und: Was passiert mit diesen fest miteinander verbundenen Materialien beim Um- oder Rückbau des Gebäudes – können die Materialien wieder sortenrein getrennt und rezykliert werden oder haben wir es hier mit Sondermüll zu tun? Denn Nachhaltigkeit ist viel mehr als nur Energieeffizienz in der Nutzungsphase.

Interview: Oliver Sefrin