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Eindrücke von der Buchmesse

Europa, Friedenspreis und Krimis: Mit spannenden Debatten und Neuerscheinungen gibt es auf der Frankfurter Buchmesse viel zu entdecken.

Sarah Kanning, 24.10.2016
© Sarah Kanning - Frankfurt Book Fair

Speed-Dating I

Wie profan, wer beim Begriff „Speed-Dating“ nur an eine Partnerschaftsbörse denkt. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat in Halle 3.1. der Buchmesse eine interaktive Speed-Dating-Box eingerichtet, in der Menschen aus Entwicklungsländern in Videobotschaften von ihrem Alltag und dem täglichen Kampf gegen den Hunger erzählen. Man sitzt sich gegenüber – und sieht dabei plötzlich, dass sich der eigene Teller mit Rotkraut und Knödel füllt, während es auf der anderen Seite nur Reisbrei gibt. 

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Speed-Dating II

Auch auf dem Blauen Sofa gab es gleich mehrere Speed-Dating-Sessions: Am Samstag sprach Moderator Michael Sahr in einem Krimi-Speed-Dating mit den Autoren Andreas Eschbach („Teufelsgold“), Sebastian Fitzek („Das Paket“), Tatort-Kommissar Miroslav Nemec („Die Toten von der Falkneralm“) und Nele Neuhaus („Im Wald“). Zehn Minuten hatte jeder Autor, um sein Buch vorzustellen. Neuhaus nannte die Buchmesse „ein absolutes Heimspiel“: „Ich wohne 15 Minuten von hier entfernt, meine Bücher spielen in der Umgebung. In meinem neuen Buch gibt es sogar eine Stelle, da fährt meine Kommissarin an der Messe vorbei – und ärgert sich über den Stau, weil gerade Buchmesse ist.“

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Frieden in Europa

Mehr Engagement der Bürger für Europa wünscht sich Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt: „Melden Sie sich zu Wort! Sie dürfen uns auch gerne kritisieren oder uns aufs Dach steigen – die Politik ist viel dankbarer für Kritik, als Sie denken“, sagte er im Forum Weltempfang vor 150 Zuschauern. Dort diskutierte er mit dem französischen Autor Mathias Énard und der deutsch-kroatischen Schriftstellerin und Gründungsdirektorin des interkulturellen Zentrums Heidelberg, Jagoda Marinić, über „Europas Krise und die intellektuelle Debatte“. Jürgen Kaube, Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, moderierte die 60-minütige Veranstaltung.

„Wir müssen uns die Frage stellen, wie das Friedensprojekt Europäische Union einen Beitrag zu einem Friedensprojekt Europa leisten kann“, sagte Roth. Ziel sei es, „ohne Angst verschieden und frei sein zu können“. Austausch, Begegnung und integrative Bewegung habe die Europäische Union seit jeher ausgezeichnet. „Die Vielfalt hat andere inspiriert – jetzt erleben wir, dass der Austausch als etwas Mühevolles wahrgenommen wird.“ Der Kern der Frage, ob muslimische Flüchtlinge zu Deutschland passten, sei: „In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben?“, sagte Roth und erteilte Populisten und Nationalisten eine Absage: „Ich würde das ausdrücklich bejahen!“

Wie die Geschichte Europas von Zeiten des Austauschs und Phasen der Konflikte geprägt ist, erklärte Mathias Énard, der für seinen Roman „Kompass“ („Boussole“) mit dem renommierten französischen „Prix Goncourt“ ausgezeichnet worden ist. „Die EU ist nicht für die Ewigkeit gemacht, der Frieden ist bedroht – wir müssen Kraft sammeln, um unsere Werte zu schützen und über die wirtschaftlichen Aspekte der Union hinaus Werte zu finden“, sagte er. Der „weltoffene Kontinent Europa, in dem die Menschen sechs Wochen im Jahr Urlaub und damit Zeit zum Reisen haben, hat sich in den vergangenen Monaten xenophob und feindlich gezeigt“, bedauerte Jagoda Marinić. Es sei eine „Herausforderung, dass aus den Ländern Europas europäische Länder und keine autoritären Staaten“ würden.

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Manga-Mania

In oft mühevoller Handarbeit haben sich die Liebhaber von Manga und Comics die Kostüme ihrer Lieblingshelden nachgebastelt und präsentieren sie stolz am Samstag und Sonntag in Halle 3 und auf der Freifläche Agora. Wolverine, Captain America und die Figuren aus Trinity Blood – hier sind sie alle friedlich vereint. Die Buchmessen in Frankfurt und Leipzig sind längst zu Szenetreffs geworden und fest verankert in den Kalendern der Manga- und Comic-Fans. Doch auch einige Spielfilmcharaktere trifft man im Innenhof des Messegeländes – Dolores Umbridge aus Harry Potter in quälendem Rosa oder der verrückte Hutmacher aus Tim Burtons „Alice im Wunderland“.

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Wiege der Demokratie

„Wow, so sieht das also aus dieser Perspektive aus“, sagte die Berliner Journalistin und Publizistin Carolin Emcke am Sonntag beeindruckt, als sie vom Rednerpult in der Frankfurter Paulskirche in die Zuhörerreihen blickte. Emcke erhielt in der Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog. Viele Jahre lang, so erzählte Emcke, habe sie die Preisverleihung aus einer anderen Perspektive, nämlich vom Fußboden in ihrem Elternhaus aus, angesehen, „und irgendwie kam mir das angemessen vor“. Den Preis, den vor ihr Vorbilder wie Martin Buber, Jürgen Habermas und Susan Sontag erhalten hatten, empfinde sie nun „weniger als Auszeichnung und mehr als Aufgabe“. In ihrer Rede warb sie für Vielfalt und mahnte an, dass „Verschiedenheit kein hinreichender Grund für Ausgrenzung“ sei. Antworten auf das derzeitige Klima des Fanatismus und der Gewalt in Europa dürften nicht einfach an die Politik delegiert werden: „Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut“, sagte Emcke. „Für all die alltäglichen Formen der Missachtung und der Demütigung sind wir alle zuständig.“ Eine berührende Laudatio hielt die Philosophin Seyla Benhabib, die zusammen mit Emcke einst bei Jürgen Habermas in Frankfurt studierte. Der mit 25.000 Euro dotiert Friedenspreis ist eine der wichtigsten gesellschaftlichen Auszeichnungen der Bundesrepublik. Unter den rund 1000 Gästen waren Bundespräsident Joachim Gauck, Staatsministerin Monika Grütters und Justizminister Heiko Maas.

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Ausblick auf 2017

In einer feierlichen Zeremonie haben Flandern und die Niederlande als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse am Sonntag die Gastrolle an den Ehrengast 2017 übergeben: Frankreich. Mehr als Frankreich ist es die französische Sprache und die frankophone Literatur, die 2017 mit einem auf drei Themen fokussierten Programm geehrt werden: Innovation und die neuen Bereiche der digitalen Kreativwirtschaft, die französische Sprache und das Thema der Jugend. Mit Veranstaltungen in ganz Deutschland ab Januar wird es 2017 nicht nur um Romane, Sachbücher, Kinder- und Jugendbücher, Comics oder um Lyrik gehen, sondern auch um neue Genres und Kunstformen. Bienvenue!

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Auf Wiedersehen!

Sonntag Abend, 17.20 Uhr, Lautsprecherdurchsage: „Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher, die Frankfurter Buchmesse schließt in wenigen Minuten…“ Applaus brandet durch die Hallen, die Aussteller und Verlagsmitarbeiter beklatschen die 68. Ausgabe der größten internationalen Bücherschau und fünf anstrengende und anregende Tage. Die Messe ist zu Ende. Rund 277.000 Besucher kamen, 2000 mehr als im Jahr zuvor, unter ihnen 142.300 Fachbesucher.  Auf Wiedersehen im nächsten Jahr!

www.buchmesse.de/weltempfang

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