Zum Hauptinhalt springen

„Weiter Schreiben“ nach der Flucht

Zurück in ein Leben als Erzähler: Wie deutsche Autoren geflüchtete Schriftsteller dabei begleiten.

02.06.2017
Author: Monika Rink and Ramy Al-Asheq
© Juliette Moarbes - Ramy Al-Asheq

„Erzählen heißt: Hoffnung haben“, sagt der vor fast 50 Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohene Autor Rafik Schami. Umso schmerzhafter ist es für Autorinnen und Autoren, nicht erzählen zu können – weil sie im Exil oft keine Möglichkeit haben, ihre Werke zu veröffentlichen. Das Projekt „Weiter Schreiben“ organisiert deshalb Partnerschaften mit deutschen Schriftstellern.

Die Idee: Autoren wie Saša Stanišić oder Nino Haratischwili eröffnen den Geflüchteten über ihre Netzwerke Zugang zur deutschen Kultur- und Literaturszene und unterstützen sie dabei, Übersetzungen ihrer Arbeiten zu bekommen. Auch die Lyrikerin Monika Rinck und der syrisch-palästinensische Schriftsteller Ramy Al-Asheq arbeiten zusammen. Hier erzählen sie davon.

Monika Rinck – „Die Temperatur eines Textes“

„Als ich von ‚Weiter Schreiben‘ hörte, war ich direkt angetan. Ich halte es für lebenswichtig, den Menschen, die zu uns kommen, Gelegenheit zum eigenen, künstlerischen Ausdruck zu geben. Besonders wichtig sind Übersetzungen – damit Schriftsteller überhaupt zeigen können, was sie machen. Das gilt umso mehr, wenn es um Lyrik geht, wie bei Ramy Al-Asheq.

Wir haben gleich bei unserem zweiten Treffen eines seiner längeren Gedichte ins Deutsche übersetzt. Eine englische Übersetzung lag bereits vor, wir haben sie als Brücke genutzt. Ich mache keinen großen Unterschied zwischen dem persönlichen Kennenlernen und der gemeinsamen Arbeit an Texten: Über Gedichte zu sprechen ist eine gute Möglichkeit, in Kontakt zu kommen und einen Resonanzraum zu schaffen.

Die Zusammenarbeit funktionierte auf Anhieb. Ramy hat mir den Text zunächst auf Arabisch vorgetragen. Ich verstehe kein Arabisch, aber das spielte keine Rolle – es ging um die Geschwindigkeit, das Metrum, die Brüche, das Stocken, quasi um die Temperatur des Textes. Ich hatte vorher Übersetzungen einiger seiner Texte gelesen und war beeindruckt, aber es ist noch etwas anderes, wenn er selbst sie vorträgt.

Ramys Gedichte sind sehr gut und ich freue mich, sie übersetzen zu dürfen. Sobald die deutschen Versionen vorliegen und wir damit zufrieden sind, möchte ich ihm auch gern helfen, sie zu veröffentlichen – etwa in Literaturzeitschriften, die sich auf Lyrik spezialisiert haben.

Für mich ist das ein langfristig angelegtes Projekt, es geht um die nächsten Jahre. In dieser Zeit würde ich mich gern regelmäßiger mit Ramy treffen als bisher. Das Problem ist, dass man als Lyriker oder Lyrikerin eigentlich nur auf Lesereisen Geld verdient. Ich bin selten lange an einem Ort. In manchen Monaten verbringe ich bloß zwei oder drei Tage zu Hause in Berlin. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass die besten Treffen persönlich und nicht per Skype stattfinden.“

Monika Rinck, geboren 1969, hat für ihre ausgefallenen Gedichte zahlreiche Literaturpreise gewonnen, darunter 2015 den Kleist-Preis. Sie übersetzt zudem aus dem Englischen und Ungarischen, kooperiert mit Musikern und Komponisten und lehrte unter anderem am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Ramy Al-Asheq – „Die Begegnung war ein Wendepunkt“

„Für einen Schriftsteller ist weiter schreiben zu können das Wichtigste. Und ich weiß, wie man schreibt. Aber ich weiß nicht, wie ich mit dem Schreiben in Deutschland meinen Lebensunterhalt verdienen kann. Viele Verleger sagten mir: ‚Wir haben kein Interesse, arabische Literatur zu übersetzen.‘ Andere meinten: ‚Wir verlegen keine Lyrik – würdest du Romane schreiben, könnten wir vielleicht darüber nachdenken.‘ Wenn man mit Gedichten ankommt, steht man fast überall vor verschlossenen Türen.

Für einen Moment dachte ich sogar ans Aufgeben. Ich schreibe auch Prosa – ich hätte also für die deutschen Leser Romane schreiben können und Lyrik nur für das arabischsprachige Publikum. Die Begegnung mit Monika war ein Wendepunkt. Wir haben gleich begonnen, miteinander zu arbeiten – irgendwie hat sie meinen Stil sofort verstanden. Vier Stunden lang haben wir an Formulierungen gefeilt und am Ende ein ganzes langes Gedicht geschafft. Es war wunderbar für mich, dieses Werk auf Deutsch in den Händen zu halten! Besonders, da der Text von einer deutschen Lyrikerin kam, nicht von einem Übersetzer.

Die Zusammenarbeit mit Monika ist ein Prozess und wir sind darüber schon fast Freunde geworden. Wir arbeiten beide mit Lyrik, leben Lyrik, denken jeden Moment daran. Diese Partnerschaft ist sehr motivierend – zwei Menschen mit komplett unterschiedlicher Sprache, Geschichte und Hautfarbe, mit unterschiedlichem Verhalten und Hintergrund tauschen sich über Gedichte aus. Vorher hatte ich sieben Monate lang überhaupt nichts geschrieben.

Mir ist es wichtig, dem Exil etwas zurückzugeben, zu seiner Sprache, Mentalität und Kultur beizutragen. Und Deutschland – die Menschen, das Land, die Kultur, der Ort – verdient es, mehr zu sein als ein Exil. Ich hoffe, dass es eines Tages mein Zuhause ist, auch wenn ich es jetzt noch nicht so nennen kann.“ 

Ramy Al-Asheq  wurde 1989 in den Vereinigten Arabischen Emiraten geboren und wuchs in Damaskus auf. Während der Revolution in Syrien wurde er verhaftet und floh nach seiner Freilassung nach Jordanien. 2014 kam er mit einem Autorenstipendium der Heinrich-Böll-Stiftung nach Deutschland. Er lebt in Köln und hat dort eine arabischsprachige Zeitung gegründet: Abwab.

Protokolle: Helen Sibum

© www.deutschland.de