Zum Hauptinhalt springen

Dem Wähler den Puls fühlen

Demoskop Matthias Jung erklärt, wie Wahlprognosen zustande kommen – und warum sie manchmal falsch liegen.

19.09.2017
Bundestagswahl 2017: Matthias Jung, Geschäftsführer der Forschungsgruppe Wahlen
Bundestagswahl 2017: Matthias Jung, Geschäftsführer der Forschungsgruppe Wahlen © dpa

Umfragen sind keine Prognosen und Hochrechnungen keine Wahlergebnisse. Matthias Jung, Geschäftsführer der Forschungsgruppe Wahlen, erklärt, wie Demoskopie funktioniert und was er und sein Team vor der Bundestagswahl beachten müssen.

„Wie wir uns auf die Bundestagswahl vorbereiten? Gründlich! Deshalb beginnen wir mit der Planung fast ein Jahr im Voraus. Zunächst müssen wir das statistische Material vergangener Wahlen aufarbeiten. Danach erstellen wir eine Stichprobe, für die Stimmbezirke zufällig ausgewählt werden. Dort befragen wir am Wahltag Wählerinnen und Wähler, die gerade ihr Votum abgegeben haben. Diese Ergebnisse sind die Grundlage für die 18-Uhr-Prognose. Nicht zuletzt deshalb ist die Bundestagswahl eine logistische Herausforderung: Gut 900 Interviewer sind an diesem Tag unterwegs.

Vor Fehlern versuchen wir uns mit Sorgfalt und Erfahrung zu schützen.
Matthias Jung, Geschäftsführer der Forschungsgruppe Wahlen

Dennoch ist der 24. September für die Forschungsgruppe Wahlen kein Grund zur Nervosität: Umfragen, Prognosen und Wahlanalysen sind unser tägliches Brot. Sowohl innerhalb der Legislaturperiode als auch unmittelbar vor Wahlen rufen wir regelmäßig rund 1.250 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte an und erfassen mit einem ausführlichen Fragebogen die politische Stimmung in Deutschland. Darauf basiert die sogenannte ‚Projektion‘, für die wir beispielsweise Bindungen an Parteien, aber auch taktische Überlegungen der Befragten einbeziehen und gewichten. Auf diese Weise errechnen wir, welches Ergebnis zustande käme, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre.

"Befragungen vor Wahlen sind keine Prognosen"

Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit gelten die Ergebnisse durch die zufällige Auswahl und die ausreichende Anzahl an Befragten als repräsentativ. Vor Fehlern versuchen wir uns mit Sorgfalt und Erfahrung zu schützen. Insbesondere bei populistischen und extremen Parteien muss jedoch mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden, da deren Anhänger sich nicht immer zu ihrer Einstellung bekennen. Dies wird bei der Gewichtung berücksichtigt. Dennoch sollte die Interpretation der Daten öfter Experten überlassen werden, damit Fehleinschätzungen wie bei der Brexit-Abstimmung und der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl vermieden werden.

Ganz wichtig: Befragungen vor Wahlen sind keine Prognosen! Sie zeigen die Stimmung zum Zeitpunkt der Umfrage – doch niemand kann das weitere politische Weltgeschehen vorausahnen. Erst am Wahltag sprechen wir von Prognosen. Anders als Umfragen stützen sie sich auf eine getätigte Wahl und nicht bloß auf eine Absicht. Nach dem Schließen der Wahllokale nähern wir uns mit den Hochrechnungen, die auf den amtlichen Auszählungen basieren, sukzessive dem Wahlergebnis an –dann ist auch Zeit für unsere Wahlanalysen.“

Protokoll: Christina Pfänder

© www.deutschland.de