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Besser organisieren, schneller helfen

Wie Digitalisierung die nachhaltige Entwicklung voranbringt, erklärt UNDP-Leiter Achim Steiner im Interview. Aber er warnt auch vor Datenmissbrauch.

12.07.2019
Achim Steiner, Leiter des UN-Einwicklungsprogramms
Achim Steiner, Leiter des UN-Einwicklungsprogramms © dpa

Achim Steiner ist derzeit der ranghöchste Deutsche bei den Vereinten Nationen. Seit 2017 leitet er das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP), das in 170 Ländern der Erde tätig ist und einen Etat von 4,6 Milliarden Dollar im Jahr hat. Im Gespräch erläutert Steiner, warum er die Vereinten Nationen keineswegs für anachronistisch hält – aller Kritik und Krisen zum Trotz.

Herr Steiner, Wir leben in einer Zeit des radikalen Wandels, die von wachsendem Populismus über geopolitische Machtverschiebungen bis hin zur Energiewende und Digitalisierung reicht. Das internationale System, wie wir es kannten, steht in der Kritik. Ist Ihnen manchmal bang um die Zukunft der UN?
Bang ist nicht der richtige Ausdruck. Aber wir müssen uns sehr wohl Gedanken machen, wie wir dieses internationale System erhalten, das wir uns über sieben Jahrzehnte mühsam aufgebaut haben. Denn es ist trotz aller Kritik und der oft geäußerten Wahrnehmung, dass hier nicht genug geschieht, im Grunde ein erstaunliches Instrumentarium. Die Vereinten Nationen ermöglichen der Welt viele Dinge, die es niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte gab und die man nicht automatisch mit ihnen verbindet.

Die Vereinten Nationen sind ein unabdingbarer Bestandteil unserer modernen Welt.
Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms

Was zum Beispiel?
Sie ermöglichen internationalen Handel, Flugzeuge über Grenzen zu fliegen, Briefe von einem Land zum anderen zu schicken, Pandemien gemeinsam zu bekämpfen, die Wirksamkeit von Medikamenten zu bewerten, Menschen ans Netz zu bringen und vieles, vieles mehr. Sie schaffen Regeln, Normen und Standards, die unser Leben sehr viel schwerer machen würden, wenn sie entfielen. Das macht die Vereinten Nationen zu einem unabdingbaren Bestandteil unserer modernen Welt.

Gibt es auch Beispiele aus der Entwicklungspolitik?
Vom Kampf gegen die Armut über demokratische Wahlen bis hin zum Ausbau erneuerbarer Energien arbeiten wir in UNDP täglich in 170 Ländern. Auch in Krisenzeiten stehen wir Ländern zur Seite. Ein Beispiel: Täglich erhalten 90 Millionen Menschen Lebensmittelhilfe. Das sind 90 Millionen, die heute nicht verhungern. Das ist eine enorme logistische Leistung, die wir für die internationale Geber- und Weltgemeinschaft erbringen – und das zu einem sehr günstigen Preis. Häufig riskieren unsere Mitarbeiter dabei ihr Leben, manchmal verlieren sie es auch. Bei aller Kritik und allen Rückschlägen, sollte man manchmal etwas genauer darauf schauen, was tatsächlich läuft. Kritisieren ist leicht, konstruktive Lösungen zu finden und etwas zum Besseren zu verändern, kostet dagegen Mühe und Kraft.

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Eine Kritik an den UN lautet, sie gehe nicht mit der Zeit, verschlafe Entwicklungen.
Das stimmt und stimmt auch nicht. Nehmen Sie das Beispiel Digitalisierung. Die Veränderungen vollziehen sich rasend schnell, da hasten viele hinterher. 90 Prozent der heute verfügbaren Informationen im Netz stammen aus den letzten zwei Jahren. Die Digitalisierung bietet enorme Chancen, nicht zuletzt für Entwicklung und für das Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele – SDGs. Mit Hilfe der Digitalisierung können wir vieles effizienter organisieren und damit schneller Wirkungen erzielen, etwa über Drohnen, mit denen wir Projektfortschritte in Krisengebieten messen. Oder über Apps in der Landwirtschaft, die helfen, die beste Erntezeit zu finden. Oder bei Finanztransfers, die übers Handy jetzt sogar von Menschen ohne eigenes Konto getätigt werden können. Da gibt es ganz viele Möglichkeiten, von denen wir erst den Anfang kennen. Aber auch viele Risiken.

Welche Gefahren sehen Sie?
Ich denke daran, dass ein paar große Firmen nicht die Welt beherrschen dürfen. Dass Daten nicht missbraucht werden, dass das digitale Profil von Menschen nicht wichtiger sein sollte als ihr reales und dass wir bald eine digitale Identität haben werden, die geschützt werden muss. Hier kommen viele Herausforderungen auf uns zu, die wir nur international lösen können. Gerade weil die Digitalisierung, genau wie die Globalisierung, ein weltumspannendes Phänomen ist. Ich sehe jedenfalls eine Unzahl an Aufgaben für die Vereinten Nationen – und auch für UNDP. Normen und gesetzliche Rahmenbedingen sind die Voraussetzungen dafür, dass die Grundrechte geschützt werden.

Sind Sie dafür schon tätig?
Ich erachte die Digitalisierung als eines unserer wichtigsten Themen derzeit. Wir bei UNDP wollen nicht nur Schritt halten mit der Entwicklung, wir wollen Vorreiter und Vordenker sein. Deshalb haben wir uns im vergangenen Jahr eine sehr ehrgeizige Digitalstrategie verordnet, die unsere Organisation bis zum Jahr 2021 ziemlich verändern wird. Sie sieht neben der Einrichtung eines Digitalisierungsbeauftragten unter anderem vor, dass alle Mitarbeiter ihre digitalen Kompetenzen verbessern und dass wir unsere gesamten Prozesse daraufhin prüfen, wo wir über digitale Anwendungen besser und schneller werden können.

Die Digitalisierung bietet enorme Chancen für nachhaltige Entwicklung.
Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms

Wirkt das auch nach außen?
Auf jeden Fall. Wir durchlaufen diesen Prozess im Innern, weil wir sehen, dass sich die Welt draußen ändert, dass wir sie nur gestalten können, wenn wir hier auf der Höhe der Zeit sind. Wir brauchen neue Ansätze, neue Denk- und Herangehensweisen auf digitaler Basis. Genau aus diesem Grund sind wir gerade dabei, ein Netzwerk an „Accelerator Labs“ weltweit aufzubauen. Das sind Laboratorien der Zukunft, wenn Sie so wollen. Dort steht die Suche nach – digital unterstützten – Lösungen mit im Vordergrund. Und das Schöne ist, sie geschieht vernetzt. Alle 60 Labs – vor kurzem haben wir eines in Berlin mit Unterstützung des BMZ vorgestellt – sind untereinander vernetzt. Sie können sich permanent austauschen und voneinander lernen.

Sehen Sie in den Herausforderungen der digitalen Welt auch einen Beleg für die Existenzberechtigung der Vereinten Nationen?
Ja, weil sie Entwicklungswege grundlegend verändert. Aber Digitalisierung ist natürlich nicht der einzige. Der Klimawandel ist ein weiteres Thema, und es gibt viele andere. Es waren die UN, die vor 30 Jahren den Weltklimarat ins Leben gerufen haben, damit Wissenschaftler die Erderwärmung unabhängig von politischen Einflüssen  analysieren und beurteilen. Natürlich kann man kritisieren, dass es bis zum Pariser Klimaschutzabkommen viel zu lange gedauert hat. Ich bin der Erste. Aber gleichzeitig gilt: Wann in der Geschichte haben wir es innerhalb von 25 Jahren geschafft, einen so fundamentalen Wandel unserer Volkswirtschaften einzuleiten und durch ein Abkommen mit 193 Staaten zu besiegeln?

Die UN haben also nicht ausgedient?
Auf keinen Fall. Wir sollten uns diesem Pessimismus auch gar nicht anschließen. Gerade in diesen turbulenten und zunehmend ruppigen Zeiten, sollten wir uns erinnern, warum wir die Vereinten Nationen nach 1945 gegründet haben. Ich bleibe dabei: Die UN sind kein Auslaufmodell. Sie sind der Gegenentwurf zu einer Welt, die glaubt, es sei besser, gegeneinander als miteinander zu handeln – so schwer uns dies manchmal auch fällt.

Interview: Friederike Bauer

© www.deutschland.de

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