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Ukrainische Stimmen in Deutschland

Bundesweit engagieren sich deutsch-ukrainische Gesellschaften für die Verständigung zwischen beiden Ländern – vor allem mit Kulturprojekten.

Christina Henning und Klaus Lüber, 19.12.2025
Sofia Andruchowytsch bei einer Lesung im Kulturhaus Kehl
Sofia Andruchowytsch bei einer Lesung im Kulturhaus Kehl © Simona Ciubotaru

An einem Abend im Oktober 2025 sitzt die ukrainische Schriftstellerin Sofia Andruchowytsch auf einem Hocker im Kulturhaus in Kehl, einer Kleinstadt im Südwesten Deutschlands. Sie hält ein dickes, aufgeschlagenes Buch in den Händen. Mit ruhiger, ernster Stimme liest die preisgekrönte Autorin aus ihrem Roman „Amadoka“. Darin verwebt die 44-Jährige Familien-, Liebes- und Kriegsgeschichte mit der kollektiven Erinnerung eines kriegsgebeutelten Landes: von der Hungersnot unter Stalin über die jüdisch-ukrainischen Beziehungen und die Shoah bis zu einem Soldaten, der 2014 aus dem Krieg im Donbass traumatisiert und ohne Erinnerung zurückkehrt. 

Teilnehmende berichten über eine gebannte Atmosphäre, neben Literaturinteressierten sind auch viele ukrainische Geflüchtete gekommen. Andruchowytsch spricht auf Ukrainisch, für das deutsche Publikum wird simultan übersetzt. „Die Erinnerungskultur ist in der Ukraine zu einer Lebensnotwendigkeit geworden“, sagt sie in der Diskussion nach der Lesung. „Wenn der Feind deine Sprache, Kultur und Geschichte leugnet, wird Erinnern zu einem Akt des Widerstands.“

Förderung durch das Auswärtige Amt

Andruchowytsch war auf Einladung der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft Ortenau e. V. (DUGO) nach Kehl gekommen, die im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe „Worte überwinden Grenzen“ bis Mitte Dezember insgesamt vier ukrainischen Autorinnen eine Bühne gab. Gegründet wurde der Verein im Frühjahr 2025. Mit ihren Veranstaltungen möchte die DUGO Deutschland und die Ukraine näher zusammenbringen und gegenseitiges Verständnis fördern. „Wir wollen mit der Veranstaltungsreihe Menschen anregen, sich mit der Ukraine zu beschäftigen. Durch die Literatur können unterschiedliche Perspektiven der gegenwärtigen Situation eingenommen werden. Die eingeladenen Autorinnen gewähren Einblicke in individuelle und kollektive Erfahrungen“, sagt Vorstandsmitglied Martin Kujawa.

Projekte wie die Lesereihe in Kehl werden mit Mitteln des Auswärtigen Amts über das ifa - Institut für Auslandsbeziehungen gefördert. Das ifa engagiert sich seit den frühen 1990er-Jahren in der Ukraine und fördert gezielt zivilgesellschaftliche Akteure, die sich für Demokratie, Kunst-, Medien- und Pressefreiheit sowie Menschenrechte einsetzen. „Gerade vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine haben sich die Aufgaben und die Relevanz dieser Kulturgesellschaften noch einmal deutlich erweitert“, sagt Tosin Stifel, Leiterin der Abteilung für zivilgesellschaftliche Förderprogramme beim ifa. „Sie leisten nicht nur konkrete Hilfe für geflüchtete Kulturschaffende, sondern bieten zunehmend auch Raum für künstlerischen und intellektuellen Austausch.“ Zahlreiche solcher bilateraler Kulturgesellschaften sind inzwischen bundesweit aktiv, verteilt über alle deutschen Bundesländer.  15 Projekte hat das ifa allein 2025 gefördert.

Ukrainische Sprache und Kultur fördern

80 Kilometer südlich von Kehl liegt die Universitätsstadt Freiburg. Hier hat die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft Freiburg e. V. (DUG Freiburg) ihren Sitz. Im November 2025 fand dort die 2. Ukrainische Filmwoche statt - mit großem Erfolg. Die Veranstalter mussten wegen der hohen Nachfrage größere Säle mit Kapazitäten für 300 Menschen buchen.

Auf dem Programm standen Dokumentarfilm, Kinderfilm und Komödie auf Ukrainisch, die alle während des Krieges produziert wurden. Darunter der Dokumentarfilm „Porcelain War“, der Kunstschaffende an der Front begleitet und 2025 für einen Oscar als bester Dokumentarfilm nominiert wurde. Oder die Sci‑Fi-Komödie „U Are the Universe“, über einen Trucker, der glaubt, der letzte Mensch im Universum zu sein. „Ich bin so stolz, dass wir in der Ukraine solche Filme drehen“, sagt Oksana Vyhovska, Vorständin der DUG Freiburg. Neben Unterhaltung zeigte sich vor allem Dankbarkeit. „Das Publikum hatte Tränen in den Augen, auch bei Komödien. Für viele ist es etwas Besonderes, ukrainische Filme im Original in Deutschland sehen zu können“, sagt Vyhovska.

Die DUG Freiburg existiert bereits seit 33 Jahren und zählt rund 120 Mitglieder. Die Aufgaben sind vielfältig: Sie helfen geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern, in Deutschland anzukommen. Sie organisieren Konzerte, gründen Theatergruppen und planen Ausstellungen. Für die ukrainischen Kinder wurde eine Samstagsschule eingerichtet. „Ukrainerinnen und Ukrainer sind mittlerweile die zweitgrößte ausländische Community in Deutschland“, erklärt Vyhovska. Nach Angaben des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung leben 2025 rund 1,2 Millionen schutzsuchende Ukrainer in Deutschland. „Deswegen muss die ukrainische Sprache und Kultur auch zukünftig durch weitere Projekte gefördert werden“, sagt Vyhovska.

Wie aus Erinnerung Identität wird

Als Andruchowytsch in Kehl nach dem heutigen Leben in ihrer Heimat gefragt wurde, wurde es still im Saal. Die Autorin lebt mit ihrer Familie weiterhin in Kyjiw, so wie zahlreiche ukrainische Künstlerinnen und Künstler, die ihr Land trotz der Lebensgefahr nicht verlassen wollen. „Es ist sehr schwierig geworden“, berichtete sie. „Die Angriffe sind häufiger, die Zahl der Drohnen wächst – bei der letzten Attacke sollen es etwa 800 gewesen sein.“ Trotz allem überwiege die Hoffnung. In „Amadoka“ versuche sie zu erzählen, wie aus Erinnerung Identität wird – und trotz des Schmerzes zu einer konstruktiven Einstellung finden kann. „Wir dürfen das Negative nicht verdrängen. Nur wer die schwierigen Momente der Geschichte anerkennt, kann daraus Kraft ziehen.“

ifa – Institut für Auslandsbeziehungen

Seit 2023 fördert das ifa – Institut für Auslandsbeziehungen aus Mitteln des Auswärtigen Amtes die bilateralen Kulturgesellschaften. Zivilgesellschaftliche Akteure, die innerhalb Deutschlands einen Beitrag zur Außenpolitik der Gesellschaften leisten, werden durch Projektförderung und Fortbildungs- und Vernetzungsangeboten unterstützt.

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