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„Großes Bedürfnis nach Antworten“

Ein Interview mit Achim Steiner, dem Exekutivdirektor der UNEP.

13.08.2012
© picture-alliance/dpa

Herr Steiner, die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 war mit einer großen Aufbruchstimmung verbunden. Wie fällt Ihre Bilanz der vergangenen zwanzig Jahre aus?

Mit einem Wort: durchwachsen. Zum einen sind wir heute in vielerlei Hinsicht weit von den Zielen der 1992 verabschiedeten Agenda 21 entfernt. Das Ziel, unsere Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik nachhaltig auszurichten, ist – global betrachtet – nicht erreicht worden. Ich sage aber durchwachsen, weil zugleich in fast allen Ländern Fortschritte gemacht wurden, in bestimmten Bereichen sogar dramatische Fortschritte. Wir haben heute weltweit ein völlig verändertes Bewusstsein der Bedeutung von Nachhaltigkeit. Hinzu kommen neue, umweltfreundliche Technologien sowie neue geopolitische Realitäten. Zu diesen gehört es auch, dass Länder wie China und Brasilien in einzelnen Sektoren zu Pionieren der Nachhaltigkeit geworden sind.

Was erwarten und erhoffen Sie sich von der Rio + 20-Konferenz?

Wir stehen vor der Herausforderung, langfristige Ziele mit einem kurzfristigen Krisenmanagement zu verbinden. Herausforderungen wie zum Beispiel die Krise des Euro in der Europäischen Union oder die sozialen Unruhen in der Arabischen Welt machen die Vorbereitungen für die Konferenz nicht leichter. Zugleich gibt es in zahlreichen Regierungen und in der weltweiten Öffentlichkeit ein großes Bedürfnis, bessere Antworten auf immer wiederkehrende Krisen, etwa des Klimawandels, zu finden. Und es gibt Beispiele, die zeigen, dass – bei aller Schnelllebigkeit der Tagespolitik – Fortschritte erzielt werden. Nehmen Sie das Beispiel der Energiewende Deutschlands, das sich für einen Ausstieg aus der Kernenergie und den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien entschieden hat.

Wie bewerten Sie diese Energiewende?

Ich glaube, diese Entscheidung der Bundesregierung ist wegweisend. Ich denke, wir werden aufgrund dieser Entscheidung eine Vielzahl von technologischen und energiepolitischen Impulsen erleben. Diese werden es Deutschland zudem ermöglichen, eine innovative Führungsrolle einzunehmen.

Welche Rolle fällt der Wirtschaft in einem Bemühen um Nachhaltigkeit zu?

Die Rolle der Wirtschaft ist zentral. Was vielen nicht bewusst ist: Die öffentliche Hand repräsentiert im weltweiten Schnitt etwa nur ein Fünftel des Wirtschaftsaufkommens, der überwiegende Rest wird bestimmt durch den Privatsektor – vom Laden an der Ecke bis zum multinationalen Konzern. Zwar gibt es hier auch zunehmend Akteure, die sich durchaus im Sinne der nachhaltigen Entwicklung neu definieren und ausrichten. Gleichzeitig gibt es aber nach wie vor Unternehmen, die in ers­ter Linie maximalen Gewinn anstreben. Vor diesem Hintergrund gewinnen wirtschafts- und ordnungspolitische Instrumente immer mehr an Bedeutung. Auch weil das Paradigma „Der Markt wird es schon richten“ offensichtlich keinen Bestand hat. Das heißt nicht, dass wir den Markt in irgendeiner Form ablösen. Wir wollen kein zentralstaatliches Planungs­system. Wir haben aber sehr wohl die Verantwortung, dort korrigierend einzugreifen, wo der Markt nicht die wahren Kosten an den Verbraucher weitergibt, zum Beispiel um den Preis der Überfischung oder hoher CO2-Emissionen.

Sie sehen also Chancen für eine prosperierende und nachhaltige Wirtschaft?

Absolut. Die UNEP hat im November 2011 der Weltöffentlichkeit den Bericht „Towards a Green Economy“ vorgestellt, in dem wir auf über 600 Seiten darlegen, wie Länder auf der ganzen Erde mit einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik nicht nur neue Technologien, sondern auch Wirtschaftswachstum fördern und Effizienz steigern. Und – vielleicht zurzeit das wichtigste Argument – neue Arbeitsplätze schaffen. Allein in Deutschland sind durch die Neuausrichtung der Energiepolitik Hunderttausende neuer Arbeitsplätze entstanden. Bei einer auf die Zukunft ausgerichteten Energiepolitik sollten wir nicht nur überlegen, wie wir den billigsten Preis für die Kilowattstunde Strom erzielen, sondern auch, wie wir mit der Konzentration auf die erneuerbaren Energien vielleicht 10, 20 oder sogar 30 Prozent mehr Arbeitsplätze schaffen können. Was möglich sein kann, zeigt auch das Beispiel der Recyclingwirtschaft, die vor 30 Jahren noch als eine Art Nebensache betrachtet wurde und die heute ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Wir recyceln mittlerweile weltweit 60 bis 70 Prozent des nicht mehr verwendeten Eisens und Stahls.

Welche Beispiele machen Ihnen weltweit Hoffnung, dass nachhaltige Politik gelingen kann?

Da gibt es zahlreiche Beispiele. Etwa die von Südafrikas Präsident Jacob Zuma verabschiedeten „Green Economy“-Strategien. Oder die Maßnahmen, die die mexikanische Regierung in den letzten drei, vier Jahren in der Klimapolitik ergriffen hat, etwa im Bereich der Wiederaufforstung. Oder nehmen Sie Indien, wo die Verbindung von sozialer und ökologischer Dimension deutlich wird und der Rural Employment Guarantee Act den Ärmsten der Armen Arbeit garantiert. Arbeit, die zu 80 Prozent dem Erhalt des Ökosystems dient. Kenia hat vor drei Jahren eine nationale Energiepolitik gesetzlich verankert, die dazu geführt hat, dass das Land seinen gesamten weiteren Ausbau der Stromversorgung nur mit erneuerbaren Energien leis­ten wird. Ich werde oft gefragt, woher ich meinen Optimismus für ein Gelingen nachhaltiger Politik nehme. Und ich kann sagen: Zu einem großen Teil aus dieser Vielfalt globaler Projekte und Initiativen.

Herr Steiner, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Interview Johannes Göbel