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Das Projekt des Dr. Kirui

Wie ein kenianischer Agrarökonom von der Uni Bonn Menschen in Afrika mit ihren eigenen Mitteln hilft – und gleichzeitig das Klima schützt.

Jasmin Siebert, 19.09.2019
Dr. Oliver Kirui, kenianischer Agrarökonom an der Uni Bonn
Dr. Oliver Kirui, kenianischer Agrarökonom an der Uni Bonn © Volker Lannert/Uni Bonn

Mehr als fünf Monate lang reiste Oliver Kirui für seine Doktorarbeit durch Kenia, Malawi, Tansania und Äthiopien. Er sprach mit Bauern, Bürgermeistern und Dorfältesten. Wieder und wieder stellte er die Frage: Wie hat sich euer Land und dessen Nutzung in den letzten Jahrzehnten verändert? Die Dorfbewohner zeichneten Karten und oft sagten sie: Dort, wo jetzt unsere Häuser stehen, war früher Wald.

Oliver Kirui ist 34 Jahre alt und Agrarökonom am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) an der Universität Bonn. Dort arbeiten Forscher aus aller Welt. Geboren und aufgewachsen ist Kirui in Kenias Hochland. Seine Familie baut Tee und Gemüse an, hält Hühner und ein paar Kühe. „Ich wuchs in einer bäuerlichen Gesellschaft auf“, erzählt Kirui. Die meisten Kleinbauern lebten in prekären Verhältnissen.

Kirui wollte den Bauern helfen und fragte sich: Wie können wir Landwirtschaft profitabel und nachhaltig zugleich gestalten? Also so, dass alle ausreichend Nahrung haben und zugleich fruchtbares Land erhalten bleibt. Ein Gedanken, der Kiruis Denken leitet: „Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt – sondern von unseren Ur-Ur-Urenkeln geliehen.“

Kirui studierte Agrarwissenschaft, in Nairobi und in Pretoria, Südafrika. Bei einer Konferenz in Brasilien lernte er 2012 einen Professor aus Bonn kennen, der wenige Monate sein Doktorvater werden sollte.

Was können wir tun, um unsere schöne Natur zurückzubekommen?
Eine alte Frau in einem Dorf in Tansania

In seiner Promotion forschte Kirui an Landdegradation und den Folgen, die diese für die Menschen hat. „Es gibt eine starke Verbindung zwischen schlechten Böden und Armut“, sagt Kirui. Von den mehr als 2000 Interviews, die er führte, ist ihm eine Begegnung besonders im Gedächtnis geblieben: Einmal saß er inmitten der Bewohner eines Dorfs in Tansania. Die Ernte gehe immer weiter zurück, klagten diese. Eine alte Frau habe gesagt: „Die guten Tage sind vorbei. Was können wir tun, um unsere schöne Natur zurückzubekommen?“

Das sind Momente, in denen sich der Forscher Kirui hilflos fühlt: Die Uhr zurückdrehen? Das kann er nicht. Doch Kirui ist jemand, der auch bei düsteren Aussichten immer ein Licht am Horizont sieht. „Die afrikanischen Bauern sind eine starke, widerstandsfähige Gemeinschaft“, sagt er. Anstatt passiv auf Hilfe von außen zu warten, entwickeln viele eigene Ideen, um den negativen Folgen von Bodenerosion und Klimawandel zu begegnen. Nach Abschluss seiner Doktorarbeit 2016 startete Kirui ein Projekt, um Ideen, die afrikanische Bauern selbst haben, sichtbar zu machen.

Nach der Doktorarbeit startete Kirui sein Projekt

In Radiospots wurden Landwirtinnen und Landwirte, junge wie alte, aufgerufen, ihre eigenen Erfindungen einzureichen. In sechs afrikanischen Ländern wurden detaillierte Fragebögen verteilt. Am Ende gingen 780 Bewerbungen ein, von denen Kirui etwa die Hälfte als „echte Innovationen“ bezeichnet. Ein kenianischer Gewinner etwa habe einen Bienenstock entworfen, den man öffnen könne, ohne die Bienen zu stören und ohne die Waben zu zerstören.

Eher zufällig habe die Gewinnerin aus Malawi ein Mittel gefunden gegen eine Augenkrankheit, die in Zeiten von Hitzewellen unter Ziegen und Schafen grassiert. Fliegen infizieren die Augen mit einem Krankheitserreger, der die Tiere erblinden lässt. Die Bäuerin habe eine Paste aus Tomatenblättern auf die erkrankten Augen gestrichen – und die Tiere hätten wieder sehen können. Ein malawisches Forschungsinstitut versuche nun herauszufinden, welcher Wirkstoff für diese heilende Wirkung verantwortlich ist.

Eine aufmerksame Landwirtin ins Sambia habe aus ihrer Entdeckung inzwischen sogar ein marktreifes Produkt gemacht, erzählt Kirui. Sie habe beobachtet, dass Wildschweine während Dürrezeiten fett und gesund blieben, während ihre eigenen Hausschweine abmagerten. Also habe sie eine bestimmte Wildpflanze, die die Wildschweine fraßen, ihren Tieren unters Futter gemischt. Bald seien ihre Schweine größer und gesünder gewesen als die Tiere der Nachbarn.

Hirse: Die Pflanze von gestern ist die Pflanze der Zukunft
Hirse: Die Pflanze von gestern ist die Pflanze der Zukunft © dpa

Während andere Organisationen nun ähnliche Wettbewerbe in weiteren Ländern Afrikas durchführen, arbeitet Kirui an seinem nächsten Projekt: Mit einem Ausbildungssystem nach deutschen Vorbild will er die afrikanische Jugend für die Landwirtschaft begeistern. Technik und Maschinen statt reiner Muskelkraft, Überwachung der Felder per Drohne zum Beispiel. „Mein Ziel ist es, Landwirtschaft sexy zu machen“, sagt Kirui und lacht.

Digitalisierung ist der eine Schritt in die Zukunft. Der andere ist zugleich einer zurück. „Die Pflanze der Zukunft in Afrika ist Hirse“, sagt Kirui. Hirse und Sorghum sind wie andere einheimische Feldfrüchte beinahe in Vergessenheit geraten. Dabei sind sie weitaus dürreresistenter, gesünder und klimafreundlicher als beispielsweise Mais. In seiner Heimat rieten Ärzte bei Bluthochdruck oder Diabetes, mehr Hirse zu essen, sagt Kirui.

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