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Alles Bio, oder was?

Der Wegbereiter der Bioökonomie, Christian Patermann, erläutert das Potenzial und die Grenzen einer Wirtschaft, die auf biologische Rohstoffe setzt.

12.08.2020
Industrie und Nachhaltigkeit schließen sich nicht aus.
Industrie und Nachhaltigkeit schließen sich nicht aus. © Shutterstock

Dr. Christian Patermann war von 1996 bis zu seiner Pensionierung 2007 Programmdirektor für Biotechnologie, Landwirtschaft und Nahrungsmittel in der EU und von 2009 bis 2012 Gründungsmitglied im ersten Bioökonomierat Deutschlands.

Dr. Christian Patermann
Dr. Christian Patermann

Herr Patermann, Sie gelten als Wegbereiter der Bioökonomie. Wie kam das?
Meinen Mitarbeitern und mir war 2004 durch einen OECD-Bericht aufgefallen, dass sich schon  enormes Wissen darüber angesammelt hatte, wie Tiere, Pflanzen, Insekten, Mikroorganismen, Enzyme oder Proteine nutzbar gemacht werden können. Und uns war bewusst, dass diese biologischen Ressourcen eine ganze Reihe von Eigenschaften aufwiesen, die geradezu einmalig waren: ihre Erneuerbarkeit, ihre Klimafreundlichkeit und ihr wirtschaftliches Potenzial. Denn neue Materialien aus biologischen Ressourcen waren oft weniger toxisch und verbrauchten in der Herstellung weniger Wasser und Energie. All diese Faktoren führten uns zu der Frage: Macht es nicht Sinn, über eine Wirtschaftsform auf Basis überwiegend biologischer Rohstoffe nachzudenken? Wir waren allerdings bescheiden, dachten zunächst an ein neues großes Forschungsthema im Rahmen des 7. EU-Forschungsprogramms, eben die Bioökonomie. Aber es kam anders.

Ich würde eher von Bioökonomien sprechen als von der Bioökonomie.
Christian Patermann, Wegbereiter der Bioökonomie

Das müssen Sie uns erklären…
Sehr schnell entwickelten verschiedene Länder in den Jahren danach eigene Aktionspläne, Road Maps und Bioökonomie-Strategien, die weit über unsere Forschungspläne hinausgingen. Mehr als 60 Staaten haben heute Konzepte für Bioökonomien entwickelt, die sehr unterschiedlich sind. Daher würde ich auch eher von Bioökonomien sprechen als von der Bioökonomie. In Frankreich, vor allem in Finnland, aber auch Irland, Italien, den Beneluxländer haben wir bereits große kommerzielle biobasierte Produktionslinien in der Chemie, in der Forstwirtschaft, vor allem in der Produktion von Biokraftstoffen. Ähnliches gilt für China, Thailand, Malaysia, Indonesien, Japan, Kanada, die USA. Mit Ausnahmen wie Futter- und Nahrungsmittelzusätzen sind viele der Produktionslinien für biobasierte Materialien jedoch noch Nischenmärkte, aber mit einer enormen Wertschöpfung. Wir haben aber ohnehin nie dran gedacht, dass Bioökonomie eine „Silver Bullet" ist, die alle Probleme des Planeten löst, sondern haben immer die Meinung vertreten, dass sie einen durchaus passablen Beitrag zur Lösung von Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeit, Nehrungsmittelsicherheit und Klimafreundlichkeit erbringen kann.

Können Sie auch erfolgreiche Beispiele aus Deutschland nennen?
Auf der Landwirtschaftsmesse „Grüne Woche“ in Berlin gibt es schon seit Jahren einen bemerkenswerten Showroom, der eine Fülle von biobasierten täglichen Gebrauchsartikeln  präsentiert, dies wird derzeit auch im Bundesforschungsministerium in Berlin gezeigt. Darüber hinaus werden eine ganze Reihe von Plattformchemikalien biobasiert hergestellt als Ausgangstoffe für viele Endprodukte in der Baustoffindustrie, Textilindustrie, Kosmetik und Feinchemie. Außerdem gibt es in der Lebensmittelindustrie eine wachsende Zahl von alternativen Proteinquellen, von der Lupine bis zur Kichererbse, die zum Beispiel auf der Nahrungsmittelmesse „Anuga“ in Köln gezeigt wurden. Fast wöchentlich kommen neue biobasierte Produkte hinzu. Den meisten Menschen in Deutschland ist dies leider kaum bewusst. Da kann das Wissenschaftsjahr „Bioökonomie“, das im Januar 2020 eröffnet wurde und bis Ende 2021 dauert, vielleicht helfen.

Die Ausgansstoffe für Biokraftstoffe sollten nicht in Konkurrenz zu Ernährungsquellen stehen.
Christian Patermann, Wegbereiter der Bioökonomie

Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe kann aber auch zu neuen Konflikten führen – wenn zum Beispiel entschieden werden muss, ob auf fruchtbaren Böden Nahrungsmittel oder Pflanzen für Kraftstoffe angebaut werden. Wie wollen Sie das lösen?
Leider ist in vielen Mitgliedstaaten der EU die Bioökonomie-Diskussion in den vergangenen Jahren zu einseitig auf Biokraftstoffe konzentriert gewesen. Das war nie unsere Absicht. Wir sprachen immer gleichberechtigt von den vier Fs: Food, Feed, Fiber and Fuel. Die Lösung sollte einfach darin liegen, dass die Ausgangstoffe für Biokraftstoffe in ariden oder semirariden Böden beziehungsweise Abfällen liegen sollten, die nicht in Konkurrenz zu Ernährungsquellen stehen. Hier herrscht enormer Forschungsbedarf. Aber ohnehin wissen wir noch nicht sicher, welche die Energieformen der Zukunft sein werden. Ich gehe davon aus, dass es hier eine kontinentale Vielfalt geben wird. Biokraftstoffe aus Lateinamerika werden dort ganz anders gesehen als in Europa oder Teilen Asiens, und auch in den USA und Kanada wird man es anders beurteilen als etwa in Afrika, wo wir ganz am Anfang einer Bioökonomieentwicklung stehen. Ich bin jedenfalls froh, dass wieder mehr über nichtenergetische Stoffströme gesprochen wird, eben die 4 Fs.

Interview: Martin Orth

© www.deutschland.de

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