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„Komplizierte Themen in schöner Sprache“

Für Erich Fromm lernte Hamid Lechhab Deutsch. Er übersetzte dessen Werke ins Arabische und erklärt, warum der Sozialpsychologe in der arabischen Welt populär ist.

Jasmin Siebert, 18.07.2023
Erich Fromm ist beliebt bei arabischen Studierenden.
Erich Fromm ist beliebt bei arabischen Studierenden. © zaschnaus/ Adobe Stock

Herr Lechhab, wie sind Sie auf Erich Fromm, den 1900 in Frankfurt am Main geborenen Psychoanalytiker, Philosophen und Sozialpsychologen, aufmerksam geworden?

Als ich an der Universität Fes studierte, analysierten wir einen Text von Fromm. Es ging um die Frage, ob Religiosität nur aus den monotheistischen Religionen erwächst oder ob auch andere Religionen dieses menschliche Bedürfnis erfüllen können. Als ich in Frankreich meine Dissertation über kindliche Vorstellungen von Gott im Islam, im Christentum und im Judentum schrieb, fiel mir Fromm wieder ein.

Der marokkanische Autor und Übersetzer Hamid Lechhab lernte die Werke von Erich Fromm während seines Philosophiestudiums kennen. Seitdem übersetzt er philosophische Werke aus dem Deutschen ins Arabische.
Der marokkanische Autor und Übersetzer Hamid Lechhab lernte die Werke von Erich Fromm während seines Philosophiestudiums kennen. Seitdem übersetzt er philosophische Werke aus dem Deutschen ins Arabische. © Jonas Lechhab

Was reizt Sie an Fromm besonders?

Mich interessiert die Verbindung von Philosophie und Psychologie. Früher gab es noch wenig Übersetzungen seiner Werke ins Arabische. Nach einem Semester Deutschstudium habe ich versucht, Fromm im Original zu lesen. Es hat dann fünf Jahre gedauert, bis ich ihn richtig verstanden habe.

Warum ist Fromm für die arabische Welt so interessant?

Auch konservative Menschen können mit Fromms kritischem Denken etwas anfangen. Es liegt daran, glaube ich, wie Fromm mit dem Thema Religion umgeht. Seine Kritik ist stets sachlich, nie pauschal. Fromm sagt einerseits, es sei gegen die menschliche Natur, was die drei monotheistischen Religionen fordern. Andererseits schreibt er auch, der Mensch brauche Religion. Mit Studierenden in Marokko diskutiere ich regelmäßig darüber, wie man Fromms Verständnis einer humanistischen Religion im Islam umsetzen kann. Es geht nicht darum, das Alte zu zerschlagen, sondern es neu zu verstehen.

Auch Fromms Friedensphilosophie ist wichtig. Er war der Ansicht, dass eine faire Teilung von Israel und Palästina die optimale Option für Frieden in dieser Region wäre. Und auch die atomare Bedrohung war immer ein wichtiges Thema bei ihm.

Fromm versteht Freiheit individuell, sie betrifft jeden einzelnen Menschen vor allem dort, wo er sich von äußeren Zwängen lösen will.
Hamid Lechhab, Autor und Fromm-Übersetzer

Neben der Religion ist Freiheit ein zentrales Thema bei Fromm.

Fromm versteht Freiheit individuell, sie betrifft jeden einzelnen Menschen. Vor allem dort, wo er sich von äußeren Zwängen lösen will. Das ist in der arabischen Welt aktuell ein zentrales gesellschafts-politisches Thema. Sein Konzept verbindet Freiheit mit Verantwortung und Respekt. Auch wie er Liebe interpretiert, kommt sehr gut an. Für ihn ist Liebe eine positive Energie, die produktiv gestaltet sein muss. Produktiv im seelischen und intellektuellen Sinne, und nicht im materiellen. Populär ist auch Fromms Kritik an der Ausbeutung der Natur und der Konsumkultur, wie er sie in „Haben oder Sein“ formuliert. Viele in der jüngeren Generation sind sich der Gefahren bewusst, Umweltbewegungen und Konsumkritik nehmen zu.

Welche Schriften werden besonders viel gelesen?

Arabische Übersetzungen von Fromm, die immer wieder herauskommen, sind: „Die Furcht vor der Freiheit“, „Psychoanalyse und Religion“, „Anatomie der menschlichen Destruktivität“, „Die Kunst des Liebens“ aus dem Jahr 1956, „Die Revolution der Hoffnung“ und sein Spätwerk „Haben oder Sein“ von 1976. Die Werke funktionieren wie Taschenlampen, die man verwenden kann, auf der Suche nach Antworten auf bestimmte Fragen. Fromm hat es geschafft, komplizierte Themen in eine schöne und einfache wissenschaftliche Sprache zu bringen.

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Hamid Lechhab, 1962 in Marokko geboren, studierte Psychologie und Pädagogik zuerst in Marokko und promovierte dann in Straßburg in Frankreich.