Wenn die Sonne brennt
Beim Bau klimaresistenter Städte gibt die arabische Welt spannende Impulse. Stadtplaner Ahmed und Rashid bin Shabib haben dazu eine Ausstellung gestaltet.
Rashid bin Shabib, ich erreiche Sie per Videocall in Dubai: Wie heiß kann es bei Ihnen werden?
Im Sommer bis zu 50 Grad warm. Mein Zwillingsbruder und ich sind Menschen, die gerne draußen sind. Damit begann auch die Recherche zu unserem Ausstellungsprojekt: Meine Großmutter hat vor ihrem modernen Haus ein kleines, schlichtes Zelt stehen. Während des Ramadan versammeln sich alle Kinder und Enkel dort zum Sonnenuntergang zum gemeinsamen Essen. Es ist oft sehr heiß, aber mit der Zeit passen wir uns an. Das brachte meinen Bruder und mich zum Nachdenken. Unsere Generation hat sich sehr an ein klimatisiertes Leben gewöhnt. Aber die Klimakrise zwingt uns, neue Wege zu gehen. Können wir nicht auch anders bauen? Einfacher, mit unseren eigenen Händen? Für die Natur und mit der Natur – und nicht gegen sie? Wir kamen auf die Idee, uns Bautechniken aus dem arabischen Raum anzuschauen, aus Städten und Regionen, wo Menschen seit Jahrhunderten mit extremer Hitze zurechtkommen.
Sie zeigen in der Ausstellung „Hot Cities“ im Vitra Design Museum in Weil am Rhein neue und alte Bauwerke aus Marokko, dem Sudan, Kuwait, Irak, Libyen, Jemen. Nach welchen Kriterien haben Sie diese ausgewählt und welche architektonischen Lösungen haben Sie besonders fasziniert?
Unser Fokus liegt auf traditionellen Techniken, die teils neu interpretiert wurden. Zum Beispiel ein mehrstöckiges Apartmenthaus von Hassan Fathy aus Kairo. Das Gebäude fängt im oberen Teil den Wind auf, der dann ins Innere geleitet wird und dort die Räume durchlüftet. Ein weiteres tolles Beispiel ist eine Wohnsiedlung aus Marokko. Einstöckige Reihenhäuser sind so geschickt ineinander verschachtelt, dass jedes Haus über mehrere Höfe verfügt, die wiederum die Häuser aus unterschiedlichen Richtungen belichten und belüften. Das Prinzip der Höfe haben wir übrigens oft gefunden. Denn wenn die Mauern hoch genug sind, entstehen wunderschöne, schattige Grünflächen – und mit ihnen ein angenehmes Mikroklima.
Was kann Deutschland von solchen Vorbildern aus dem arabischen Raum lernen, um seine Großstädte klimaresistenter zu machen?
Unsere Ausstellung bietet keine Patentrezepte an, sie will eher inspirieren und neugierig machen. Es war uns wichtig, dass sie für Kinder genauso funktioniert wie für Designer oder Architekten. Und wir wollten den Blick weiten: vom einzelnen Gebäude hin zur Betrachtung der gesamten Umgebung. Für uns ist das der Anfang eines neuen Denkmusters – dass man nicht mehr ausschließlich technologiebezogen plant und baut, sondern sich an den örtlichen Begebenheiten orientiert. Wie im Zelt meiner Großmutter.
Zurzeit habe ich den Eindruck, dass in Europa eher die Klimaanlagen auf dem Vormarsch sind. Die lindern zwar die Hitze, treiben aber den Energieverbrauch immens in die Höhe. Sind wir da nicht auf dem völlig falschen Weg?
Das Thema extreme Hitze ist in vielen Regionen der Welt allgegenwärtig, aber für Europa und Nordeuropa dennoch recht neu. Dazu kommt, dass die Sommertage im Norden lang sind. Anders als im viel südlicheren Dubai scheint die Sonne bis in die späten Abendstunden. Das heißt, es bleibt für eine längere Zeit am Tag warm. Ich denke, hier kann eigentlich nur mehr Schatten und mehr Luftdurchlässigkeit die Antwort sein. Und dazu findet man wiederum viele Ideen im arabischen Raum.
Welche anderen naturnahen Wohnkonzepte fallen Ihnen noch ein?
Da denke ich sofort an den Sommerschlafplatz meiner Großeltern und Urgroßeltern, den ich allerdings nur aus Erzählungen kenne. Es war ein Gestell, das an einen großen viereckigen Tisch erinnerte, mit vier Beinen. Man nahm alte Bootssegel, rollte sie ein, trug sie zum Meer, machten sie nass und brachte sie zurück zum Haus. Dort wurden sie über das Gestell gehängt, darunter schlief man. Das Wasser kühlte – wie eine Klimaanlage ohne Strom, die schon vor über 100 Jahre genutzt wurde! Es geht mir natürlich nicht darum, dass wir zu solchen Konstrukten zurückkehren. Ich möchte einfach anregen, dass wir klimaresistentes Design weniger kompliziert denken. Einfacher, handwerklicher.
Also plädieren Sie gar nicht für mehr Smart Home-Technologie, sondern eher für eine Art Downsizing?
Unsere Ausstellung schlägt keine einheitlichen Lösungen vor, sondern will nur Denkanstöße geben. Aber ja, ich finde, wir sollten vermeiden, dass noch mehr Energie verbraucht wird, noch mehr Gebäudetechnik gewartet werden muss, noch mehr ausfallen oder kaputtgehen kann. Es braucht auch nicht unbedingt einen komplizierten Umbau. Ich erinnere mich, dass ich einmal in Großbritannien ein Bürogebäude betrat, das zwei Fahrstühle hatte. Einer war nicht in Benutzung, stattdessen wurde der Fahrstuhlschacht zur Belüftung genutzt. Eine einfache Idee, vermutlich sehr günstig – das hat mich total begeistert!
Sie und Ihr Bruder forschen schon lange über urbane Infrastruktur, Stadtentwicklung und Architektur, sind dafür mehrfach ausgezeichnet worden und haben 2020 den Goldenen Löwen bei der Architekturbiennale in Venedig gewonnen. Zeigen diese Erfolge, dass das Thema Klimaschutz in der Architektur einen wichtigen Stellenwert eingenommen hat?
Ich denke, viele Menschen weltweit haben ein Interesse daran, Lösungen für unsere sich verändernde Umwelt und den Klimawandel zu finden. Das zieht sich durch alle Länder, Gesellschaften und Generationen. Ich hatte vor einiger Zeit eine sehr berührende Unterhaltung mit meinem Großvater, der mittlerweile gestorben ist. Ich saß mit ihm in Dubai draußen beim Mittagessen im Schatten, nur seine Hand wurde von der Sonne beschienen. Er zog sie zurück, betaste sie. Ich fragte, was los sei. Er erwiderte, dass die Sonne sich heißer auf seiner Haut anfühle als früher. Diese Feinfühligkeit der Natur gegenüber, die brauchen wir in allen Bereichen. Und ich erlebe, dass Menschen sehr offen für neue Wege sind, sei es in der Stadtplanung, der Architektur, der Agrarwirtschaft.
Weitere Informationen zur Ausstellung findet ihr hier.