„Auch ein Krieg gegen die Kultur“
Das in Deutschland ins Leben gerufene „Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine“ bemüht sich darum, das vom Krieg bedrohte Kulturerbe des Landes zu bewahren.

Mehr als 400 Museen und 3000 Kulturstätten, darunter sieben Welterbestätten, liegen in der Ukraine. Etliche von ihnen wurden seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar bereits zerstört oder beschädigt. Um auch das Kulturerbe des Landes zu schützen, rief die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, schon im März 2022 zusammen mit dem Auswärtigen Amt das „Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine“ ins Leben.
Als Roth im Juni die Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer besuchte, betonte sie die Bedeutung dieses Schutzes: „Dieser Krieg ist auch ein Krieg gegen die Kultur, gegen die Kultur der Demokratie.“ Auch Ende des Jahres 2022 gilt angesichts der russischen Angriffe, was Roth schon im Sommer sagte: „Es geht darum, die kulturelle Identität der Ukraine anzugreifen.“
Angriff auf die Menschlichkeit
Die ukrainische Kunsthistorikerin Olena Balun koordiniert seit April die Arbeit des Netzwerks. Seit 2004 lebt sie in Berlin, mehr als 1000 Kilometer von Kiew entfernt. Sie ist überzeugt: „Kultur ist das, wofür es sich lohnt zu leben“. Kunst und Kultur seien das, „was unsere Menschlichkeit ausmacht.“ Ernüchtert stellt sie nach fast zehn Monaten Krieg in ihrer Heimat fest: „Die massiven Angriffe seit Anfang Oktober zeigen, dass im Grunde nichts mehr sicher ist“. Es sei ein ständiges Reagieren auf die Situation.
Sie versucht seit Monaten, ganz konkret zu helfen. So koordiniert sie etwa die Lieferung von Hilfsgütern, die in Deutschland angekauft werden und zu Museen, Bibliotheken und anderen Kultureinrichtungen in der Ukraine gebracht werden. Neben Verpackungsmaterial wie Noppenfolien oder speziellen Feuerlöschern braucht es zur Zeit vor allem Generatoren für Strom oder Klimageräte. „Aus unserem Lager in Berlin werden sie mit Lastwagen zu Sammelpunkten in der Ukraine gebracht, von wo aus Museen sie mit ihren eigenen Transportern abholen lassen“, erzählt Balun. Sie habe Respekt vor den Fahrern, die damit bis an die Frontlinie fahren.
Schwieriger Schutz von Kunstwerken
In der Ukraine sichern Freiwillige sowohl kleinste Sammlungen als auch ganze Kulturstätten gegen die Raketen. So werden Denkmäler mit Sandsäcken geschützt und mit Platten festgeschraubt, damit diese bei Nässe nicht platzen. Mit OSB-Platten und weiteren Materialien wird die Bausubstanz von Museen gegen Druckwellen geschützt. Viele Kulturgüter wurden bereits in den Westen des Landes gebracht oder in Lagerräumen versteckt. Doch die sind überfüllt und nicht für langfristige Lagerungen geeignet. „Die Kunstwerke werden zudem auch dadurch bedroht, dass sich unter den derzeitigen Bedingungen Schimmelpilz ausbreiten kann“, sagt Balun. „Gerade Naturkunde-Sammlungen sind extrem sensibel, was Feuchtigkeit und Schädlinge angeht.“ Hilfe bekommt sie auch von deutschen Museen. Vor kurzem habe sie etwa ein Gespräch mit dem Deutschen Historischen Museum geführt.
Doch der Winter stellt die Helfer neben der Feuchtigkeit vor weitere Probleme. Nicht überall gibt es Strom und Wasser, Minusgrade und Schnee behindern die Arbeiten. Und viele Mitarbeiter in Museen sind inzwischen vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflohen. „Eine Museumsdirektorin hat uns gefragt:
Was würden Sie als erstes retten? Ihr Kind oder Ihr Museum? Niemand will vor dieser Frage stehen.
Kulturelles Erbe für die Ewigkeit
Drei Software-Ingenieure aus Lemberg wählten einen technischen Weg, um Kulturgüter zu schützen. Sie fertigen mithilfe von Laserscannern 3D-Modelle von historischen Gebäude an. „Wir haben hier unser ganzes Leben gelebt. Die Stadt lehrt uns, das historische und architektonische Erbe wertzuschätzen“, erklären die Ingenieure mit Blick auf ihre Heimatstadt. Mit Kriegsbeginn starteten sie das Projekt #SaveUkrainianHeritage. „Dabei geht es darum, das architektonische und künstlerische Erbe der Ukraine im virtuellen Raum zu erhalten und das historische Gedächtnis vor den zerstörerischen Auswirkungen der Zeit zu bewahren“. Seit März haben sie 40 ukrainische Kulturerbestätten digitalisiert. So stehen sie für den schlimmsten Fall bereit, um für Restaurierung und Forschung genutzt zu werden.
