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Von der Kunst des Genießens

Im deutschen Weinbau tut sich was – oft bedeutet das Neue eine Rückbesinnung auf Bewährtes.

Cornelius和Fabian Lange, 09.09.2013
© picture-alliance/dpa/Stockfood - Wine, Riesling

Über das Geheimnis der Qualität des deutschen Weins

Atemberaubend steil, entsetzlich steil, höllisch steil können deutsche Weinberge an Mosel, Main, Ahr, Neckar und Rhein sein. Wer sich als Winzer in solchen Lagen abmüht, braucht eine hohe Motivation, denn Wein lässt sich auch ganz bequem mit Maschinen in Flachlagen zu einem Bruchteil der Kosten erzeugen. Steillagen erfordern erhebliche Manpower und reichlich Fans, die solchen Weinen aus vielen Gründen die Treue halten. Vielleicht, weil sie intensiver schmecken, vielleicht auch, weil sie deutlich mineralischer sind? In jedem Fall, weil sie eines haben: Terroir.

Ausgerechnet dieser aus Frankreich stammende Begriff, der so viel bedeutet wie „Herkunft“, nur viel weiter gefasst, bringt auf den Punkt, worum es bei der Typizität von Weinen geht. Es ist ein kurzer Begriff, um einen hochkomplexen Wirkungszusammenhang zu umschreiben: Der Weinberg mit seiner Hangneigung und Ausrichtung zur Sonne, seinem Boden und der Geologie wird zum Terroir gezählt. Dazu gehören heute aber auch die Genetik der Rebsorten, das Alter der Rebstöcke, die Wirtschafts­weise im Weinberg, die Arbeit im Keller und sogar die Hefen, die dort leben. Es ist erstaunlich, wie die deutschen Winzer der vergangenen zwanzig Jahre an der Ausschärfung des Terroirs ge­arbeitet haben. Dank rigoroser Ertragsreduzierung, alter Reb­stöcke, die weniger, dafür aber aromatischere Trauben tragen, sowie gestiegenen Knowhows hat sich eine stille Qualitätsrevolution ereignet. Eine junge Generation von Winzern setzt dabei auf neue, eigentlich altbewährte Methoden, indem sie die Weine mit den natürlichen Hefen vergären lässt, statt Trockenhefen zuzusetzen, oder indem sie die alten, großen Holzfässer verwendet, in denen die Weine harmonisch reifen. Neben Weiß- und Grauburgunder, Silvaner und Sankt Laurent sowie Lemberger haben davon vor allem zwei Sorten profitiert: Riesling und Spätburgunder.

Der Riesling allein ist ein Kosmos, in dem Millionen Sterne leuchten – es gibt ihn nicht nur knochentrocken, sondern auch mit delikater Süße. Beim Riesling sind die Toplagen entscheidend, die dieser Sorte eine perfekte Heimat bieten.

Die Tür zum Rheingau: Lange wurde der Rieslingstil des Rheingaus dominiert von den Spitzenweinen der adeligen Grundbesitzer. Güter wie Schloss Vollrads, Schloss Reinhartshausen und Schloss Johannisberg standen für einen unverwechselbaren Charakter. Nach 1950 kam die Inflation durch neue Züchtungen, Kunstdünger und moderne Kellertechnik. Spätlesen wuchsen plötzlich überall. Die Preise fielen – und mit ihnen die Qualität. Bis mit dem Glykolskandal 1985 der Weincrash über Deutschland hereinbrach. Fortan besannen sich die kleinen Weingüter im Rheingau auf Qualität statt Quantität und setzten auf trockene Weine. Heute sind sie zum Schrittmacher der Entwicklung im Rheingau geworden, sie haben den Rieslingstil neu definiert. Im Jahr 1999 wurde sogar eine Klassifikation eingeführt, das „Erste Gewächs“: Nur die besten Weine aus besten Lagen dürfen diese Bezeichnung auf dem Etikett tragen.

Steile Weine aus steilen Lagen: Der Saar- und Moselriesling verdankt seinen Stil drei Faktoren – einem Tal mit extrem steilen Hängen, dem Schiefer und einer langen Vegetationsperiode. So entstehen Weine, die sich über die Säure definieren, als süße Variante auch mit sieben oder acht Prozent Alkohol aromatisch kraftvoll sind und dank dichter Mineralität lange nachschmecken. Es geht auch im trockenen Bereich, dazu bedarf es einer anderen Denk- und Arbeitsweise. Nur wenn der Winzer spät erntet, vielleicht erst im November, wird er Trauben lesen, die wenig Säure haben. Ob trocken oder restsüß – Moselriesling kann die Eleganz von Weinen aus kühlem Klima unter Beweis stellen. Doch das beste Zeichen ist: Immer mehr Spitzenwinzer kehren in die alten, mühsam zu bewirtschaftenden Steillagen zurück.

Die Riesling-Newcomer: Neben den Rieslingen aus Franken haben jene aus der Pfalz zugelegt. Dort sind sie kräftig und haben Fruchtaromen getankt, die an Grapefruit und Aprikose erinnern. Rheinhessen, das größte Weinbaugebiet Deutschlands, lieferte früher vor allem die süße „Liebfrauenmilch“ ins Ausland. Heute wachsen sogar in deren Originallage, dem Wormser Liebfrauenstift-Kirchenstück am Rhein, imposante Rieslinge. Auch an der Nahe entstehen schillernde Schmetterlinge zum Trinken, herrlich gemustert – wenn sie leise ihre Flügel öffnen, zeigen sie ihre ganze Schönheit.

Deutschland, einig Rotweinland: Der Anteil roter Trauben liegt bei rund 37 Prozent – Tendenz steigend. Qualitativ nimmt der Spätburgunder die Spitze ein, er liefert deutsche Wertarbeit beim Wein. Das Ahrtal ist eines der nördlichsten Rotweinanbaugebiete der Welt. Auf den steilen Schieferterrassen werden feine, leichte Spätburgunder von Winzern erzeugt, die auch international Aufsehen erregen. Das Weingut Meyer-Näkel, gegründet von einem Autodidakten, wurde 2008 vom englischen Weinmagazin „Decanter“ mit der internationalen Pinot-Noir-Trophy geehrt.

Baden ist das größte Spätburgunderland. Vor allem der Kaiserstuhl bietet ideale Voraussetzungen für die anspruchsvolle Sorte, die von den intensiven Vulkanböden profitiert. Auch der Breisgau bietet Spitzenburgunder. Dank geringerer Mengen nimmt die Konzentration der Aromen zu und es entstehen ungeheuer nachhaltige Weine. In der Pfalz steht es ebenfalls sehr gut um den Spätburgunder. Überraschungen liefern einzelne, versprengte Terroirs. In Assmannshausen im Rheingau wächst Spätburgunder auf einzigartigem Phyllitschiefer. Die Rotweinenklaven Ingelheim in Rheinhessen sowie Klingenberg und Bürgstadt in Franken zeigen, wie großartig der Spätburgunder auf Kalkstein und rotem Sandstein werden kann. Wir als Weintrinker haben es in dieser neuen, bunten Terroirwelt einfach wunderbar: Terroir ist zwar ein abstrakter Begriff – aber er kann genial schmecken.