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„Gemeinsamen Pakt für die Zukunft schmieden“

Antje Leendertse, ständige Vertreterin Deutschlands bei den Vereinten Nationen, über die veränderte Rolle des Landes nach 50 Jahren UN-Mitgliedschaft. 

Carsten HauptmeierCarsten Hauptmeier , 06.09.2023
Botschafterin Antje Leendertse in New York
Botschafterin Antje Leendertse in New York © picture alliance/dpa

Frau Botschafterin Leendertse, im September jährt sich der Beitritt Deutschlands zu den Vereinten Nationen zum fünfzigsten Mal. Wie hat sich Deutschlands Rolle in den UN in den vergangenen Jahrzehnten verändert und wie sieht sie heute aus?
Eine Veränderung ist offensichtlich: Aus zwei wurde eins. Am 18. September 1973 wurden noch die Flaggen zweier deutscher Staaten das erste Mal bei den UN in New York gehisst. Nun weht glücklicherweise nur noch die Fahne des wiedervereinigten Deutschlands am East River. Die deutsche Rolle bei den UN war in der Blockkonfrontation des Kalten Kriegs und kurz nach dem unsäglichen Leid, das Deutschland während des Zweiten Weltkriegs über Millionen von Menschen brachte, eingeschränkter als heute. Natürlich war der Einsatz für Menschenrechte von Anfang an ein wichtiges Anliegen. Aber andere Felder, wie unser aktives Engagement in Peacekeeping-Missionen, entwickelten sich erst in den vergangenen Jahrzehnten. Heute ist Deutschland eine zentrale Kraft in den Vereinten Nationen, wir möchten ein Pfeiler des Multilateralismus sein, nicht nur finanziell als ein führender Geber, sondern politisch und konzeptionell. Unverändert blieb übrigens der Auftrag aus dem Grundgesetz, dem Frieden der Welt zu dienen. 

Deutschland setzt sich für eine Stärkung der Vereinten Nationen ein. Welche Chancen sehen Sie für Veränderungen angesichts der weltweiten Krisen und einer teilweise eher zunehmenden Spaltung der Weltgemeinschaft?
Es stimmt, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist nicht nur für Deutschland eine Zeitenwende. Auch bei den Vereinten Nationen rüttelt der fundamentale Bruch der UN-Charta an Grundfesten. Zusätzlich ziehen Pandemie und Klimakrise tiefe Furchen. Gerade deswegen arbeiten wir jeden Tag umso stärker daran, dass wir in und mit den UN globale Partnerschaften vertiefen. Partnerschaften, die auf gemeinsamen Regeln und Recht statt auf der Willkür von Gewalt fußen. Wir haben eine multipolare Realität, aber das heißt eben nicht, dass sich automatische eine Spaltung der Welt zementiert. Unsere Aufgabe ist es gerade jetzt, Multipolarität und Multilateralismus zusammenzuführen. Und unsere Aufgabe ist es, ernsthaft zu versuchen, die wachsenden Ungleichheiten und Verwundbarkeiten auszugleichen. Dazu gehört, dass wir uns für die Agenda 2030 mit den nachhaltigen Entwicklungszielen, die sehr unter Druck stehen, stark machen.  

Unsere Aufgabe ist es gerade jetzt, Multipolarität und Multipluralismus zusammenzuführen.
Botschafterin Antje Leendertse

Diskutiert wird auch eine Reform des Völkerrechts. Was muss sich aus Sicht Deutschlands ändern?
Erst einmal gilt es, alles dafür zu tun, dass das Völkerrecht und die Institutionen, die zu dessen Umsetzung und Schutz zentral sind, nicht ausgehöhlt werden. Das hat viele Facetten: Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Generalversammlung immer wieder in großer Klarheit Russlands Angriffskrieg verurteilt. Wir unterstützen nationale und internationale Stellen, zum Beispiel den Internationalen Strafgerichtshof, ganz praktisch darin, die notwendigen Ermittlungen zu führen, damit die Täter zur Rechenschaft gezogen werden können. Und Außenministerin Annalena Baerbock setzt sich dafür ein, eine Strafbarkeitslücke im Völkerrecht in Bezug auf das Verbrechen der Aggression zu schließen. Das umfasst die Unterstützung für ein Sondertribunal im Ukraine-Kontext wie auch praktische Veränderungen am Römischen Statut.  

Außenministerin Baerbock spricht bei einer UN-Sitzung in New York
Außenministerin Baerbock spricht bei einer UN-Sitzung in New York © picture alliance / newscom

Gemeinsam mit Namibia leitet Deutschland die Verhandlungen für den „Summit of the Future“. Was versprechen Sie sich von dem UN-Zukunftsgipfel 2024?
Seinen Ausgangspunkt hat der Zukunftsgipfel in einem Auftrag aller Staats- und Regierungschefs, als sie zum75. Jahrestag der UN im Jahr 2020 den UN-Generalsekretär António Guterres baten, die Lücken im bestehenden multilateralen System zu benennen und Empfehlungen für Zukunftslösungen zu geben.  Das heißt, bereits am Anfang stand die Übereinkunft, dass wir dringend Veränderungen brauchen. António Guterres hat das mit dem grundlegenden Fahrplan „Our Common Agenda“ eingelöst. Jetzt ist der Ball bis September 2024 wieder bei den Mitgliedsstaaten, daraus einen gemeinsamen Pakt für die Zukunft zu schmieden. Klimakrise, Krieg, Pandemie, die digitale Revolution zwingen uns, die Regeln und Institutionen unserer Zusammenarbeit neu zu vermessen und gerechter aufzustellen. Deutschland hat zusammen mit Namibia die Verantwortung übertragen bekommen, diesen anspruchsvollen Prozess zu moderieren. Wir bekommen daher hautnah mit, wie Fliehkräfte wirken, aber eben auch, dass ein Großteil der Staaten das System erhalten und ernsthaft stärken will.  

Sie sind seit September 2021 Ständige Vertreterin Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York. Wie blicken Sie auf Ihre bisherige Amtszeit zurück und was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?
Wir stehen in der größten sicherheitspolitischen Krise der letzten Jahrzehnte. Als eine Herausforderung speziell bei den Vereinten Nationen erlebe ich es, darauf so entschlossen wie auch klug und abgewogen zu reagieren. Es gibt seit dem 24. Februar 2022, dem russischen Angriff, kein „business as usual“ mehr, schon gar nicht im Sicherheitsrat, dessen Dysfunktionalitäten immer deutlicher werden. In dieser Situation dürfen wir klare Worte nicht scheuen, gegen blanke Gewalt hilft kein Leisetreten. Aber robustes Auftreten darf nicht zu Blockade und Tunnelblick führen. Entwicklungsgerechtigkeit, Klimasolidarität, Gleichberechtigung der Geschlechter bleiben entscheidende Fragen in meiner Arbeit, damit künftige Generationen eine Chance auf Frieden und Wohlstand haben. 

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