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Der Bürger als Souverän

Das Wahlrecht gilt als das höchste Gut der Demo­kratie.

Michael Helge, 27.11.2019
Wahlraum
© Jens Schlueter/Getty Images

Von Barack Obama stammt das weithin bekannte Bonmot, wonach Wahlen allein noch keine Demokratie machen. Wohl wahr gesprochen – und dennoch: Das Wahlrecht gilt als das höchste Gut der Demokratie. In der individuellen Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger bilden Wah­len womöglich sogar die zentralen Handlungsmomente ihrer Teilhabe am demokratischen Gemeinwesen. In welchem Rahmen sich die Mitwirkung vollzieht, legt das Grundgesetz fest. Es definiert für die Staatsordnung der Bundesrepublik Deutschland zunächst den Grundsatz der repräsentativen Demokratie. Das heißt: Das Volk übt die Staatsgewalt nicht direkt aus, sondern überträgt sie auf gewählte Körperschaften – die Parlamente. Für den Gesamtstaat ist das Parlament der Bundestag in Berlin. In den 16 Ländern sind es die Landtage; in Kreisen, Städten und Gemeinden kommunale Selbstverwaltungskörperschaften. Die Parlamente sind in Deutschland die ­einzigen Verfassungsorgane, die vom Wahlvolk direkt gewählt werden.

Demokratie ist Herrschaft auf Zeit. Zu Kommunalwahlen wird in Deutschland alle fünf Jahre aufgerufen. Bei den im gleichen Turnus abgehaltenen Landtagswahlen (mit Ausnahme von Bremen, wo alle vier Jahre gewählt wird) entscheidet sich die Zusammensetzung der Landesparlamente. Wegen des föderalen Charakters Deutschlands verfügen die 16 Länder über eine beachtliche Eigenständigkeit, insbesondere in Angelegenheiten der Polizei, der Justiz, der Bildung und der Kultur, was den Landesparlamenten relevante Gestaltungsspielräume eröffnet und vielfältige Möglichkeiten der bundespolitischen Mitwirkung bietet.

Der Bundestag in Berlin wiederum wird von den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern ab dem 18. Lebensjahr alle vier Jahre in freier, geheimer und direkter Wahl gewählt. Die Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen ist traditionell hoch und im internationalen Vergleich ansehnlich, seit den 1970er-Jahren tendenziell aber rückläufig. 2017 gaben 76,2 Prozent von 61,5 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab – zum Vergleich: Im Jahr 1972 waren es 91,1 Prozent.

Gewählt wird der Bundestag nach einer leicht modifizierten personalisierten Verhältniswahl, wobei die eine Hälfte der mindestens 598 Mandate durch die Wahl von Personen in den 299 Wahlkreisen (Erststimmen) zugeteilt werden, die andere von Landes­listen der Parteien (Zweitstimmen) stammen. ­Konkret heißt das: Jeder Wahlberechtigte hat am Wahltag zwei Stimmen zu vergeben. Die Erststimme gilt dem Kandidaten beziehungsweise der Kandidatin einer Partei im heimischen Wahlkreis, mit der Zweitstimme wählt man die Landesliste einer Partei. Grundlage für die spätere Anzahl der Mandate im Bundestag sind die gültigen Zweitstimmen. Durch sogenannte Überhang- und Ausgleichsmandate kann sich die Zahl der Abgeordneten (deutlich) erhöhen. Der gegenwärtige Bundestag ist mit 709 Abgeordneten jedenfalls der größte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Noch einige Zahlen: Seit seiner ersten Sitzung am 7. September 1949 in Bonn bis zum September 2019 hat der Bundestag 4.215 Mal getagt. Die Gesamtsitzungszeit betrug 29.104 Stunden, die dabei gehaltenen Reden füllen 345.520 Seiten an stenografischen Berichten. Insgesamt kamen und gingen 4.072 Abgeordnete. Sie verabschiedeten 64.078 Gesetze. Die Gesetzgebung ist neben der Wahl des Bundeskanzlers die vornehmste Aufgabe des Parlaments, das sich als Arbeitsparlament versteht.

Das System der personalisierten Verhältniswahl prägt auch den Charakter des Parlaments, weil dadurch kleinere Parteien proportional zu ihren Wahlergebnissen vertreten sind. Das Wahl­system macht es für eine einzelne Partei schwer, ­allein die Regierung zu bilden, daher ist in Deutschland das Parteienbündnis die Regel. Bis auf eine Ausnahme wurde die Bundesregierung deshalb seit 1949 jeweils durch Koalitionen mehrerer bei der Wahl konkurrierender Parteien gebildet. Damit gleichzeitig eine Zersplitterung der politischen Landschaft im Parlament verhindert und eine Regierungsbildung vereinfacht wird, müssen Parteien mindestens fünf Prozent der abgegebenen Wählerstimmen (oder drei Direktmandate) auf sich ver­einen, um im Bundestag vertreten zu sein. Im 19. Deutschen Bundestag sind mittlerweile sieben ­Parteien vertreten: CDU, CSU, SPD, AfD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.

Ohnehin haben die politischen Parteien eine Schlüsselstellung im deutschen Wahlsystem inne. Das Grundgesetz weist ihnen die Aufgabe zu, an der politischen Willensbildung teilzunehmen. Die Aufstellung von Kandidaten für politische Funktionen und die Organisation von Wahlkämpfen gewinnen dadurch den Rang einer Verfassungsaufgabe. Der Aufbau der politischen Parteien muss demokratischen Grundsätzen folgen, von politischen Parteien wird erwartet, dass sie sich zum demokratischen Staat bekennen. Parteien, deren demokratische Gesinnung in Zweifel steht, können auf Antrag der Bundesregierung verboten werden. Das Verbot selbst darf aber ausschließlich vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden.

Die Parteien bleiben im Kern Ausdrucksformen der Gesellschaft, gleichwohl verlieren vor allem die traditionellen Volksparteien CDU und SPD seit Jahren an Mitgliedern und Kohäsionskraft. Kleinere Parteien gewinnen oft eine höhere Attraktivität, ebenso kommt den sozialen Medien als Plattformen für politische Artikulations- und Aktionsformen mehr Bedeutung zu. Auch über direktdemokratische plebiszitäre Elemente wünschen sich viele Bürgerinnen und Bürger zunehmend mehr Beteiligungsmöglichkeiten.

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