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Warum Demokratie und Menschenrechte zwei Seiten einer Medaille sind

Menschenrechte sichern zu, dass die Interessen Einzelner gewahrt werden, auch wenn sie nicht zur Mehrheit zählen, sagt Völkerrechtler Mehrdad Payandeh.

Mehrdad Payandeh, 26.11.2019
Demonstration
© dpa

Menschenrechte und Demokratie scheinen auf den ersten Blick in einem nahezu unauflösbaren Spannungsverhältnis zueinander zu ­stehen: Während Menschenrechte Einzelnen, Gruppen und Minderheiten Rechte zusprechen, die diese auch – und gerade! – gegenüber der Mehrheit in Stellung bringen können, impliziert Demokratie die Herrschaft der Mehrheit. Können daher im Namen der Demokratie und ­unter Berufung auf die Volkssouveränität individuelle Rechte und Freiheiten zurückgedrängt werden? Sind Gerichte, die parlamentarische Mehrheitsentscheidungen unter Verweis auf Menschenrechte und Minderheitenschutz in Frage stellen, „undemokratisch“? Ein derartiges Ausspielen von Demokratie und Menschenrechten, von Mehrheit und Minderheit, wie es von autoritären Regimen forciert und teilweise ­unter dem Label der illiberalen Demokratie propagiert wird, verkennt, dass der Schutz der Menschenrechte kein Hindernis, sondern eine Funktionsbedingung nachhaltiger Demokratie darstellt. Menschenrechte garantieren freie und faire Wahlen unter Bedingungen politischer Gleichheit. Menschenrechte gewährleisten offene Kommunika­tion und einen freien Meinungsbildungsprozess. Menschenrechte ­sichern die Umsetzung demokratisch getroffener Entscheidungen ab und verhelfen demokratischer Herrschaft damit zur Wirksamkeit. Indem Menschenrechte die Macht der Mehrheit begrenzen, ermöglichen sie schließlich, dass Individuen und Minderheiten die Entscheidungen der demokratisch legitimierten Mehrheit akzeptieren und mit ihnen leben können: Die Demokratie stellt der Minderheit in Aussicht, dass sie zur Mehrheit werden kann. Die Menschenrechte sichern dem Einzelnen zu, dass seine Interessen selbst dann gewahrt sind, wenn er nicht zur Mehrheit zählt. Ebenso wie Menschenrechte sich am ehesten in einer Demokratie entfalten können, ist nachhaltige demokratische Herrschaft ohne Respekt, Schutz und Verwirklichung von Menschenrechten nicht vorstellbar. Menschenrechte und Demokratie sind keine Antipoden, sondern wechselseitige Gelingensbedingungen politischer Gemeinschaft. In ihrem Zusammenwirken ermöglichen sie dem Einzelnen ein Leben in individueller wie auch kollektiver Selbstbe­stimmung. Der Schutz und die Verwirklichung von Menschenrechten bilden daher ein genuin demokratisches Projekt.

Der Völkerrechtsexperte lehrt an der Bucerius Law School in Hamburg. Zu seinen Schwerpunkten gehören Menschenrechtsschutz, Friedenssicherungsrecht und Recht der Vereinten Nationen (UN). Prof. Dr. Mehrdad Payandeh wurde 2019 in den Ausschuss zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung – Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) – gewählt. Seit 2002 ist der Jurist der erste deutsche Experte in diesem wichtigen von den UN eingesetzten Kontrollorgan.

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