„Wir dürfen uns nicht in nationale Schneckenhäuser zurückziehen“
John Whitehead, Direktor des British Council, setzt auf kulturelle Vernetzung zur Bewältigung der Krise.

Herr Whitehead, befindet sich Europa nicht nur in einer Finanz-, sondern auch in einer kulturellen Identitätskrise? Müsste jetzt nicht die Stunde der Kultur, die Stunde einer großen Idee schlagen?
Ganz ohne Zweifel spielt kulturelle Zusammenarbeit besonders in Krisenzeiten eine Schlüsselrolle. Denn in solchen Zeiten verschärfen sich soziale Probleme, und alte Vorurteile kommen zurück an die Oberfläche. Umso ernster nehmen wir unsere Aufgabe, den Austausch von Wissen und Ideen zu fördern – nur so lässt sich auch eine intellektuelle Krise vermeiden. Von daher glaube ich nicht, dass die Stunde einer großen, übergreifenden Idee geschlagen hat. Kulturorganisationen müssen Menschen dabei helfen, ihren Horizont selbst zu erweitern. Dann können sie ganz eigenständig Antworten zu gesellschaftlichen Fragen finden.
Was ist eigentlich das Verbindende in der europäischen Kultur – wenn man die geschichtlichen Verbindungslinien einmal im Hintergrund lässt?
Oft ist der erste Schritt getan, wenn man ein Umfeld schafft, in dem zwischenmenschlicher Austausch stattfinden kann. Je mehr wir uns austauschen, umso leichter entsteht gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. Und letztendlich wächst auf diesem Weg auch eine verbindende Kultur, die allen Beteiligten neue Möglichkeiten eröffnet. Das zeigen zum Beispiel Erfahrungen, die wir in Nordirland gesammelt haben: Es ist wichtig, Menschen zu helfen, sich von ihrer ganz „einseitigen, isolierten“ Identität zu lösen; sonst werden noch mehr Grenzen aufgebaut, die keine Einflüsse von außen zulassen.
Arbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven. Was kann die Kultur in solch einem gesellschaftlichen Klima leisten?
Zur Überwindung der Krise muss weiterhin in kulturelle Arbeit investiert werden. Trotzdem ist es immer schwer, die Auswirkungen kultureller Arbeit in Zahlen zu fassen und zu messen. Kulturelle Projekte brauchen Zeit, um Früchte zu tragen. Ich hoffe, dass die Politik von der Wichtigkeit unserer Arbeit überzeugt bleibt.
Héctor Abad, der kolumbianische Schriftsteller, hat kürzlich die Befürchtung geäußert, Europa habe die Freude seiner frühen Jahre verloren. Er sieht darin die Gefahr, dass Populisten die Union in nationalistische Albträume zurückversetzen könnten. Ist das ein typischer Blick „von außen“?
Das ist gut möglich. Genau aus diesem Grund ist kulturelle Vernetzung in Europa so entscheidend. Wir dürfen uns nicht in nationale Schneckenhäuser zurückziehen, sondern müssen den Austausch fördern und pflegen. Mal ganz abgesehen von der europäischen Krise: Auch die Globalisierung hat in vielen Ländern einen gesellschaftlichen, politischen Wandel erzwungen.
Haben Sie eine Vorstellung von Europa als einem kulturellen Sehnsuchtsort?
Das Faszinierende an Europa ist, dass es so viele unterschiedliche Stimmen, Meinungen und Ausprägungen von Kultur gibt. Es ist ein Ort des Wandels, der Vielfalt und der Diskussion. Trotzdem fragen sich manche in der Gemeinschaft, ob und wie wir diese Diskussion fortführen sollten. Es bleibt spannend und ich bin auf die Zukunft gespannt.
Wie nehmen Sie die Stimmungen in Ihrer Heimat wahr. Und wie reagieren Sie in der Programmarbeit in Deutschland darauf?
Natürlich gibt es in Großbritannien so einige Empfindlichkeiten gegenüber der EU, unter anderem ausgelöst und verstärkt durch die Eurokrise, aber auch weil sich die EU an einem Kreuzweg befindet. Wie es weitergehen soll, wird gerade geprüft. Jedes der europäischen Kulturinstitute vertritt eigene nationale Interessen. Gleichzeitig wissen wir alle, dass Europa ein Kontinent mit gemeinsamer Vergangenheit und mit gemeinsamen Werten ist. Als eines der Gründungsmitglieder von EUNIC, der Gemeinschaft der europäischen Kulturinstitute, engagieren wir uns für die Vielfalt der europäischen Kultur. Und schließlich: Auch mit Hilfe von Sprache bauen wir Brücken.
JOHN WHITEHEAD ist Direktor des British Council Deutschland in Berlin. Nach Stationen am British Council in Großbritannien, Lateinamerika, Nordafrika, Europa und zuletzt Thailand wechselte John Whitehead 2010 in die deutsche Hauptstadt. www.britishcouncil.de