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„Unser Grundgesetz gibt eigentlich alles her“

Der Schutz der Umwelt ist im deutschen Grundgesetz fest verankert. Rechtsanwältin Roda Verheyen klagt diesen Schutz ein. 

Helen SibumHelen Sibum, 15.03.2024
Rechtsanwältin Roda Verheyen
Rechtsanwältin Roda Verheyen © privat

Frau Verheyen, gab es einen „Aha-Moment“, in dem Ihr Engagement für den Klimaschutz begann?

Dieser Augenblick liegt schon 22 Jahre zurück. Ich hatte gerade mein Jurastudium begonnen und sah mir den ersten Bericht des Weltklimarats IPCC an. Damals ging mir durch den Kopf, dass wir ein unverantwortliches Experiment mit unserem Planeten durchführen. 

Und Jura schien Ihnen das richtige Studienfach, um etwas dagegen zu tun?

Ja, denn unser Umgang mit der Natur widerspricht allem Rechtsempfinden. Mein Gefühl von damals hat sich mit der Zeit immer weiter festgesetzt. Das Recht ist dazu da, individuelle Menschenrechte sowie kollektive Rechte zu schützen – aber eben auch die Umwelt, weil wir sie brauchen und weil wir nicht allein auf diesem Planeten sind.

Roda Verheyen und der peruanische Bergbauer Saúl Luciano Lliuya 2017
Roda Verheyen und der peruanische Bergbauer Saúl Luciano Lliuya 2017 © dpa/pa

Sie vertreten seit 2015 den peruanischen Bauern Saúl Luciano Lliuya bei einer Klage gegen den Energiekonzern RWE als einen der größten Verursacher von Treibhausgasen. Lliuya lebt in einem Dorf unterhalb eines Bergsees. Durch den Rückgang der Gletscher drohen Eis- und Felsbrocken in den See zu stürzen, was eine Flutwelle verursachen würde. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Fall zu übernehmen?

Bevor ich Rechtsanwältin wurde, war ich in der Klimadiplomatie aktiv, habe Nichtregierungsorganisationen und Staaten beraten. Schon damals war klar, dass der Klimawandel vor allem diejenigen trifft, die selbst nur wenig klimaschädliche Gase emittiert haben. Daraus ergibt sich eine historische Verantwortung, heute spricht man von „climate justice“. Als sich die Möglichkeit ergab, mit einem konkreten Menschen über einen konkreten Fall zu sprechen, habe ich nicht gezögert.

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Sie haben sich die Situation in dem peruanischen Bergdorf selbst angesehen.

Ja. Dort fehlen sowohl die Mittel, sich gegen die Folgen des Klimawandels zu schützen als auch die institutionelle Verankerung zum Beispiel von Katastrophenvorsorge. Deswegen war es für mich selbstverständlich, diesen Fall zu übernehmen. Ich konnte damals nicht ahnen, was dieses Verfahren auslösen würde und dass es bis heute andauern sollte. 

Es blieb nicht das einzige Ihrer Verfahren, das viel Aufmerksamkeit erhielt. 2021 haben Sie erreicht, dass das Bundesverfassungsgericht das deutsche Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat. Was bedeutet Ihnen das Urteil?

Für mich persönlich und auch auf internationaler Ebene war diese Entscheidung sehr bedeutsam. Sie ist weiterhin Anstoß für viele rechtliche Diskussionen. Leider ist die Umsetzung auf der gesetzlichen Ebene und auch durch die nationalen Gerichte bislang übersichtlich. Zum Beispiel habe ich direkt im Anschluss argumentiert, dass sich aufgrund der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Klimaschutzes die Beweislast bei hochemittierenden Projekten umkehrt. Sprich: Wer emittieren will, muss beweisen, dass die Klimaziele trotzdem eingehalten werden können. Diese Sicht ist leider in mehreren Instanzen abgelehnt worden.

Müsste sich am Grundgesetz selbst etwas ändern?

Das Grundgesetz gibt uns schon jetzt den Auftrag, Klimaschutz zu betreiben. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber dabei einen Gestaltungsspielraum. Das ist auch richtig so, weil es die Gewaltenteilung abbildet und der Tatsache Rechnung trägt, dass nicht alles detailliert im Grundgesetz stehen kann. Ich bin immer zurückhaltend, wenn es um Änderungen des Grundgesetzes geht. Unser Grundgesetz gibt eigentlich alles her. Es ist ein gutes System, mit dem wir sorgsam umgehen müssen. Aber vielleicht muss das Grundgesetz sich auch der Realität stellen, dass es gemacht wurde in einer Welt, die noch relativ menschenleer war.

Also doch eine Änderung?

Wir müssen uns fragen: Gibt es wirklich keine Grenzen für das, was wir als Menschen tun? Besteht eine Möglichkeit, die planetaren Grenzen – die wissenschaftlich lange anerkannt sind – zu berücksichtigen? Denn wenn wir das nicht tun, wird es irgendwann keine Grundlage mehr geben, Menschenrechte überhaupt auszuüben.

Ist das eine Diskussion, die Sie sich zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes wünschen?

Dieses Jubiläum ist ein Grund zu feiern, aber tatsächlich auch ein Anlass für Debatten. Außerdem wünsche ich mir, stärker daran zu erinnern, dass wir auch eine übergeordnete europäische Verfassung haben: die Grundrechtecharta der EU. Wir sollten sie erstens genauso feiern wie das Grundgesetz und sie zweitens mehr anwenden.

Roda Verheyen mit einer Klimaaktivistin bei einer Verhandlung gegen VW
Roda Verheyen mit einer Klimaaktivistin bei einer Verhandlung gegen VW © dpa/pa

Sie haben es bei Ihrer Arbeit mit mächtigen Gegnern zu tun haben – mit Weltkonzernen und Regierungen. Braucht man dafür besonderen Mut?

Ich fühle mich nicht besonders mutig. Ich lebe hier in Deutschland in Sicherheit, man hat mich noch nie bedroht. Das ist ein Privileg, das Kolleginnen und Kollegen in manch anderem Land nicht haben. 

Wenn man vielleicht keinen Mut braucht, braucht man für Ihre Arbeit sicher Frustrationstoleranz. Was gibt Ihnen Hoffnung?

Hoffnung geben mir all die jungen Menschen, die sich für meine Arbeit interessieren, die auf die Straße gehen und wirklich eine Transformation wollen. Auch dank ihnen habe ich wenig Zweifel daran, dass es richtig ist weiterzumachen. Sich zurückzuziehen ist keine Alternative.

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Dr. Roda Verheyen, geboren 1972, ist Rechtsanwältin in Hamburg und ehrenamtliche Richterin am Hamburger Verfassungsgericht.