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Leben zwischen Blindgängern

Ob in Dörfern, auf Feldern oder in Schulgebäuden: Minen lauern in Syrien fast überall. The HALO Trust räumt sie – mit deutscher Unterstützung.

Kim BergKim Berg, 02.12.2025
HALO Trust räumt Minen in Syrien.
HALO Trust räumt Minen in Syrien. © Fazit

Mehrere Jahre stand die Grundschule von Chan Schaichun leer. Der Ort in der nordwestsyrischen Provinz Idlib erlangte im Bürgerkrieg traurige Bekanntheit durch einen Giftgasangriff 2017. Lange war die Stadt umkämpft, noch heute sind viele Gebäude zerstört. Auch die Mauern der Grundschule sind von Einschusslöchern durchsiebt. Jahrelang konnten die Gebäude nicht genutzt werden, weil sich Blindgänger aus dem Bürgerkrieg auf dem Gelände befanden. Doch jetzt rennen Kinder über den Schulhof, spielen Fußball und unterhalten sich über ihre Lieblingsfächer. Seit Herbst 2025 findet wieder Unterricht statt – nachdem die humanitäre Minenräumorganisation HALO Trust das Areal von Sprengkörpern befreit hat.

Seit 2017 räumt die NGO Minen und Blindgänger in Syrien, klärt die lokale Bevölkerung auf und kartografiert Minenfelder. Sie wurde 1988 in Afghanistan gegründet und ist heute in über 30 Ländern und Territorien in Afrika, Asien, Europa und dem Kaukasus, Lateinamerika sowie im Nahen Osten aktiv.. „Vor dem Sturz Assads hatten wir nur ein Büro im Nordwesten des Landes; inzwischen haben wir mehrere Büros in ganz Syrien – darunter in Aleppo, Deir ez-Zor, Daraa und bald auch in Homs und Damaskus,“, sagt Farouk al-Mustafa, Einsatzleiter bei HALO Trust. 40 Mitarbeiter waren damals für die Minenräumung und Aufklärung in der Region zuständig, bis November 2025 wuchs das Team auf über 200 Personen. Die weiteren Mitarbeiter akquirierte die Organisation aus der lokalen Bevölkerung. Nach einer Ausbildung übernahmen sie schrittweise die Aufgaben der internationalen Kollegen. Über 330.000 Quadratmeter hat HALO Trust in Syrien bereits von Sprengrückständen befreit. 

Unterstützung bekommt HALO Trust dabei aus Deutschland. „Deutschland leistet einen bedeutenden Beitrag zur Förderung der Stabilität in Syrien, indem es die Räumung von Minen mitfinanziert“, sagt al-Mustafa. 2025 unterstützt das Auswärtige Amt die Arbeit von HALO Trust in Syrien mit rund fünf Millionen Euro. Mit insgesamt 70 Millionen Euro gehört Deutschland zu den größten Geldgebern weltweit, um Minen und Kampfmittel in ehemaligen und bestehenden Konfliktgebieten zu räumen. Dafür arbeitet das Auswärtige Amt überwiegend mit Organisationen in den betroffenen Regionen zusammen.

Deutschlands Engagement in der Minenräumung

Das deutsche Engagement in der Minenräumung stützt sich maßgeblich auf die Ottawa-Konvention – das völkerrechtlich bindende Abkommen, das 1997 den Einsatz, die Herstellung und die Weitergabe von Antipersonenminen verbot. Mit der Ratifizierung verpflichtete sich die Bundesrepublik nicht nur zur vollständigen Abrüstung eigener Bestände, sondern auch zur Unterstützung betroffener Staaten, um die humanitären Folgen von Minen und explosiven Altlasten zu bewältigen.

Minen und Blindgänger behindern den Wiederaufbau

„Das Ausmaß der Kontamination durch Sprengsätze in Syrien ist enorm“, sagt al-Mustafa. Die syrische Provinz Idlib ist besonders stark belastet. Die Region stand ab 2017 unter Kontrolle der islamistisch-dschihadistischen Miliz HTS und war bis zuletzt die größte Rebellenhochburg gegen Assad. Durch die stetigen Frontverschiebungen im Verlauf des Krieges sind auch andere ländliche Gebiete Syriens von Minen und explosiven Altlasten betroffen – mit gravierenden Folgen für das alltägliche Leben. Einst galt Idlib aufgrund seines fruchtbaren Bodens als Kornkammer des Landes, heute ist davon nicht mehr viel übrig. 

Viele Menschen leben noch immer in Zelten oder sind in ihre stark beschädigten Häuser zurückgekehrt. Zahlreiche Schulen bleiben geschlossen, weil explosive Kampfmittelrückstände eine akute Gefahr darstellen. Bauern scheuen sich davor, ihre Felder zu bestellen, denn immer wieder kommt es zu Unfällen durch Minen.585 Menschen wurden laut HALO Trust seit dem Sturz Assads am 8. Dezember 2024 durch Minen und Blindgänger getötet, darunter 165 Kinder. Über 1.000 weitere Menschen wurden verletzt (Stand: November 2025). Die tatsächliche Zahl dürfte jedoch deutlich höher liegen, da es keine zentrale Erfassung für die Unfälle und keine übergreifend koordinierende Stelle gibt. „Seit dem Sturz Assads kommt es immer häufiger zu Zwischenfällen mit explosiven Überresten“, sagt Seba Abdulkareen, Leiterin der nicht-technischen Erkundung bei HALO Trust. Die neu gewonnene Bewegungsfreiheit und die Rückkehr geflüchteter Familien erhöhen das Risiko von Verletzungen durch Kriegsrückstände. Mehr als 1,25 Millionen Menschen sind seit Dezember 2024 nach Syrien zurückgekehrt.

Aufklärung rettet Leben

Jeden Tag erhält HALO Trust in Syrien mehrere Meldungen über den Fund von explosiver Artillerie und Minenfeldern. „Wenn wir Hinweise bekommen, verschaffen sich unsere Teams erstmal einen genaueren Eindruck von der Lage. Sie befragen die Bevölkerung zu möglichen Funden, dokumentieren Rückstände und sichten Fundstellen“, erklärt Abdulkareem. Verdichten sich die Hinweise auf ein Minenfeld, dann beginnt HALO Trust mit der Ortung und anschließenden Räumung. 

Bei großflächigen Räumungen setzt die Organisation in Syrien dafür Frontlader ein. Das sind Traktoren mit einer speziellen Baggerschaufel, die Minen und Sprengkörper aus der Erde bergen und aussieben. Sechs von ihnen befreien aktuell ein etwa 300.000 Quadratmeter großes Minenfeld an der ehemaligen Frontlinie zwischen der HTS und dem Assad-Regime. Fast 50 Sprengkörper hat das Team bereits aus dem Areal geborgen. Auch Einzelrückstände beseitigt die Organisation. Liegen sie in einer unbewohnten Gegend, werden sie häufig kontrolliert gesprengt, um den Transport der instabilen Rückstände zu vermeiden.

HALO Trust klärt über die Gefahr von Minen auf – hier in der Grundschule in Chan Schaichun.
HALO Trust klärt über die Gefahr von Minen auf – hier in der Grundschule in Chan Schaichun. © Fazit

Neben der Beseitigung von Minen setzt HALO Trust auf Aufklärung, um die Gefahren für die Bevölkerung zu reduzieren. „Wir bieten Sensibilisierungskurse an Schulen, in Dörfern und Wohnvierteln an“, sagt al-Mustafa. Auch in der Grundschule in Chan Schaichun gibt die Organisation Aufklärungsunterricht. Mehr als 708.000 Menschen hat HALO Trust so bereits erreicht. 

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