Rekonstruktion inmitten von Ruinen
In der stark zerstörten Altstadt Aleppos arbeitet Architektin Dima Dayoub daran, Kulturerbe zu bewahren – und ganze Wohnviertel wiederaufzubauen.
Die Altstadt von Aleppo ist still am Freitagvormittag. Die meisten Menschen treffen sich zum Gebet in den Moscheen, die Straßen sind leer. Entlang der Gassen türmen sich Steinhaufen. Vor dem Krieg standen hier Gebäude aus altem Sandstein, mit wunderschönen Innenhöfen. Sie sind ein charakteristisches Merkmal der historischen Architektur, die 1986 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Üppig bepflanzt und mit einem Brunnen in der Mitte, tragen die Höfe zur Kühlung bei und sind kleine Oasen der Ruhe in der betriebsamen Stadt. Jetzt sind von den Gebäuden oft nur noch karge Mauern und glaslose Fenster übrig. Ganze Straßenzüge sind ausgehöhlt, auf den Steinen am Straßenrand finden sich Reste von Mosaiken. Doch hinter einer Metalltür im christlichen Viertel dröhnen Hämmer und Kreissägen.
Hier arbeitet Dima Dayoub daran, Aleppos verlorene Architektur wiederzubeleben. Sie ist Projektkoordinatorin für den Wiederaufbau von Beit Wakil und arbeitet für den Berliner Verein „Freunde des Museums für Islamische Kunst“. Das Gebäude ist das ursprüngliche Zuhause des Aleppo-Zimmers, das heute zum Bestand des Museums für Islamische Kunst in Berlin gehört. Durch den Bürgerkrieg und das Erdbeben 2023 wurde es jedoch stark zerstört.
Archivmaterial hilft beim Wiederaufbau
„Momentan restaurieren wir das Haus, wir wollen die ursprünglichen Elemente wiederherstellen“, erklärt Dayoub. Dabei stützt sie sich auf Archivfotos von Beit Wakil aus dem Syrian Heritage Archive Project, das 2013 am Museum für Islamische Kunst in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Archäologischen Institut startete. Finanziert wird es unter anderem vom Auswärtigen Amt. Ziel des Projekts ist es, Daten zu dokumentieren, um das syrische Kulturerbe zu bewahren und sie über eine offene Datenbank zugänglich zu machen. „Es handelt sich um ein großes Archiv, das hauptsächlich aus Fotografien und Zeichnungen von Forschenden und Reisenden aus Syrien besteht“, sagt Dayoub.
300.000 Unterlagen vom späten 19. bis zum frühen 21. Jahrhundert umfasst das Archiv, darunter Fotografien, Pläne, Texte, Videos und Dokumente. „Ein besonderer Fokus liegt auf Aleppo“, sagt Dayoub. Allein 50.000 Fotografien der Stadt finden sich im Archiv. Auch Bilder und Pläne von Beit Wakil wurden so erhalten. „Das Material hilft uns, sehr genau zu arbeiten“, erklärt Dayoub und zeigt auf die zahlreichen Steinverzierungen, die sich entlang der Wände des Innenhofs ziehen. „Dank der Fotos konnten wir jedes Detail nachvollziehen. Wir entwarfen Pläne als Vorlage für die Handwerker und Auszubildenden, die damit sämtliche Ornamente originalgetreu rekonstruieren konnten.“
Training lokaler Handwerker
„Uns ist wichtig, junge Menschen auszubilden, damit sie die Restaurierungsarbeiten selbst ausführen können“, sagt Dayoub. Deshalb startete im Januar 2025 eine viermonatige Ausbildung im Steinschnitzen, an der sieben Auszubildende und ein lokaler Trainer teilnahmen. „In dieser Zeit vermittelten wir ihnen die zentralen Techniken des denkmalgerechten Umgangs mit historischen Bausubstanzen und fertigten all die verlorenen Steinelemente neu an, die wir für die Fenster benötigten.“ Es folgte eine weitere Ausbildungsphase in der Steinmetzarbeit. „Dabei haben wir alle zuvor geschnitzten Stücke eingebaut“, erklärt sie. Gemeinsam bauten sie so die zerstörten Wände von Beit Wakil vollständig wieder auf. Die kleinen Fenster des Hauses waren ursprünglich mit Buntglas versehen. Wie das historische Design genau aussah, ist jedoch nicht mehr bekannt. „Deshalb wollen wir in der zweiten Projektphase eine eigene Studie durchführen, um die ursprünglichen Muster zu rekonstruieren“, sagt Dayoub.
Parallel dazu arbeitet ihr Team an einem neuen Vorhaben, das vom Auswärtigen Amt unterstützt wird: „Wir dokumentieren systematisch alle Schäden an Wohnhäusern – vor allem in stark zerstörten Vierteln“, so die Architektin. Während internationale Organisationen sich vor allem auf Monumente und öffentliche Gebäude konzentrieren, möchte ihr Team die Wohnquartiere stärker in den Blick nehmen. „Wir versuchen diese Lücke zu schließen und erfassen das Wohngewebe Haus für Haus.“ Langfristig sollen daraus Wiederaufbaukonzepte in Zusammenarbeit mit den Nachbarinnen und Nachbarn entstehen.