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Weltoffen und selbstbewusst

Türkische Studierende erzählen von ihrem Erasmus-Semester in Deutschland und den Vorteilen eines europäischen Studiums.

Protokolle: Canan Topçu, 19.11.2019
Egeberk Deliceli: „Man überdenkt Vorurteile“
Egeberk Deliceli: „Man überdenkt Vorurteile“ © privat

Am Erasmus+ Programm der Europäischen Union nehmen auch Nicht-EU-Länder wie die Türkei teil. Fünf türkische Studierende berichten von ihren Erfahrungen mit Erasmus in Deutschland.

Odelli Kartarı: „Ich bin viel selbstständiger geworden“
Odelli Kartarı: „Ich bin viel selbstständiger geworden“ © privat

Odelli Kartarı, 26, studiert Englisch auf Lehramt an der Çukurova Üniversitesi in Adana und war im Sommersemester 2018 als Erasmus-Teilnehmerin an der Bergischen Universität Wuppertal.

„Das deutsche Bildungssystem hat mich sehr beeindruckt. An der Bergischen Universität habe ich an Lehrveranstaltungen zu Didaktik und Pädagogik teilgenommen. Zur Vermittlung von Fremdsprachen habe ich wertvolle Anregungen für den Unterricht in der Türkei bekommen. Ich habe mich sehr sicher gefühlt in Deutschland. Überrascht war ich davon, dass der Umgang der Menschen miteinander zwar sehr respektvoll, aber wenig hierarchisch ist, unabhängig von Rang und Status. Mir hat die Zeit in Deutschland sehr viel gebracht. Beruflich, weil ich meine Sprachkenntnisse in Englisch und Deutsch verbessern konnte, aber auch persönlich: Ich bin viel selbstständiger geworden – und mutiger, weil ich vieles selbst organisieren musste.“

Positiv überrascht war ich, wie unkompliziert in Europa der Zugang zu Quellen ist.
Verda Bingöl: „Positiv überrascht war ich, wie unkompliziert in Europa der Zugang zu Quellen ist.“ © privat

Verda Bingöl, 31, promoviert in Kunstgeschichte an der Istanbul Teknik Üniversitesi und war im Sommersemester 2019 an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München.

„Ich bin wegen meiner Promotion nach München gekommen. Dort und in Wien wollte ich in Archiven recherchieren. Positiv überrascht war ich, wie unkompliziert in Europa der Zugang zu Quellen ist. Keiner hat mich ausgefragt, was ich mit dem Material vorhabe. Für meine Forschung war es eine super Zeit. Da ich die meiste Zeit im Archiv und in der Bibliothek verbracht habe, kam ich wenig mit anderen zusammen. Ab und an bin ich zu den Feiern der Erasmus-Studierenden gegangen und habe Vorlesungen auf Deutsch besucht, aber nicht viele Kontakte knüpfen können. Das lag nicht an der Sprache, ich spreche Deutsch und war auch schon 2017 mit einem DAAD-Stipendium für ein halbes Jahr in München. Vielleicht liegt es am Altersunterschied – die anderen waren viel jünger. Was mir gefallen hat: Die Menschen respektieren die Privatsphäre des jeweils anderen sehr.“

Abdulvahap Çalıkoǧlu: „Ich wurde herzlich aufgenommen“
Abdulvahap Çalıkoǧlu: „Ich wurde herzlich aufgenommen“ © privat

Abdulvahap Çalıkoǧlu, 25, studierte an der Kâtip Çelebi Üniversitesi Izmir, war während des Wintersemesters 2013/14 an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven und macht derzeit seinen Master in Elektrotechnik an der Universität Bremen.

„Ich erinnere mich daran, wie verloren ich mich fühlte, als ich das erste Mal nach Deutschland kam. Es war mein erster Auslandsaufenthalt, ich konnte kein Deutsch und fühlte mich einsam. Die Menschen waren aber alle so freundlich, haben mich so herzlich aufgenommen und sich um mich gekümmert. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, weil ich mit dem Vorurteil angereist war, dass Deutsche sehr reserviert sind. Für meine Persönlichkeitsentwicklung war das Semester in Wilhelmshaven unglaublich wichtig. Ich habe die Zeit auch viel für Reisen in andere EU-Länder genutzt und kann sagen: Das hat sehr dazu beigetragen, meine Vorurteile abzubauen. Ich bin ein weltoffener Mensch geworden.“

Eda Alper: „Es hat mir sehr gut getan“
Eda Alper: „Es hat mir sehr gut getan“ © privvat

Eda Alper, 24, studiert  Maschinenbau an der Yıldız Teknik Üniversitesi in Istanbul, ist seit Anfang Oktober 2019 in Berlin und studiert an der Technischen Universität. Sie nimmt zum zweiten Mal am Erasmus-Programm teil.

„Was die Zeit in Berlin mir bringen wird, weiß ich nicht wirklich. Mein Auslandsemester hat ja erst vor Kurzem angefangen. Ich war aber schon im Wintersemester 2015/16 mit dem Erasmus-Programm in Deutschland. Ich studierte in Regensburg und hatte Heimweh. Kein Wunder, ich war zum ersten Mal im Ausland. Auf mich gestellt, in einem Land, dessen Sprache ich nicht beherrschte: Für jemanden, der so schüchtern ist wie ich, war das eine Herausforderung. Doch ich konnte Kontakte zu anderen Studierenden aus dem Erasmus-Programm knüpfen, und rückblickend hat mir dieses halbe Jahr sehr gut getan. Ich bin damals in einige Schengen-Länder gereist, das hat meinen Blick auf Europa erweitert.“

„Viel rumgekommen“: Egeberk Deliceli in der Sächsischen Schweiz
„Viel rumgekommen“: Egeberk Deliceli in der Sächsischen Schweiz © privat

Egeberk Deliceli, 24, studiert Umwelttechnologie an der İstanbul Teknik Üniversitesi, im Sommersemester 2019 war er mit dem Erasmus-Programm an der Technischen Universität Berlin.

„Im Rahmen meines Erasmus-Semesters an der TU Berlin habe ich an einem Umweltmanagement-Projekt mitgewirkt. Dabei ging es um die Frage, wie Müll in der Küche und Kantine der Universitätsklinik Charité reduziert werden kann. Ich habe viele Impulse mitgenommen und denke, dass sich mein Studium in Berlin bei Bewerbungen positiv auswirken wird. Menschen aus anderen Kulturen kennenlernen und in Europa reisen: Auch das waren für mich Gründe für die Teilnahme am Erasmus-Programm. Ich bin tatsächlich viel rumgekommen. Parallel zum Studium habe ich in einem Café gearbeitet und das Geld fürs Reisen ausgegeben. Der Job half mir auch beim Deutschlernen. Ich denke, ein Erasmus-Semester führt grundsätzlich dazu, dass man Vorurteile und klischeehafte Vorstellungen überdenkt, in meinem Fall von Deutschen über Türken und umgekehrt.“

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