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Das neue Medienmonster

In der Krise haben Verschwörungserzählungen Konjunktur. Was kann man dagegen tun? Fünf Fragen an Katharina Nocun.

14.01.2021
Aluhut
© dpa

Katharina Nocun ist Bürgerrechtlerin, Netzaktivistin und Publizistin. In ihrem Blog kattascha.de setzt sie sich mit gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung sowie populistischen und demokratiefeindlichen Bewegungen auseinander. 2020 hat sie mit Pia Lamberty den Bestseller „Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ veröffentlicht.

Frau Nocun, Verschwörungserzählungen haben gerade Konjunktur. Wir gefährlich ist das?
Natürlich entwickelt das Thema in der Pandemie eine ganz neue Dringlichkeit. Wer glaubt, das Virus würde nicht existieren, schützt weder sich noch andere. Viele Menschen machen sich gerade große Sorgen um Freunde oder Familienangehörige, die in den Sog von Verschwörungserzählungen geraten sind. So etwas sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn das kann langfristig fatale Folgen haben. Wer an eine große Verschwörung in der Medizin glaubt, geht vielleicht bei schweren Erkrankungen nicht mehr zum Arzt und vertraut sich stattdessen lieber Wunderheilern an. Das kann tödlich enden.

Katharina Nocun
Katharina Nocun © www.GordonWelters.com

Was wissen Sie über die Menschen, die glauben, was offensichtlich falsch ist?
Rund ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland hatte schon vor der Pandemie eine gewisse Offenheit für Verschwörungsnarrative. Oft gibt es das Vorurteil, dass eher ungebildete Menschen an Verschwörungen glauben würden. Doch das Phänomen zieht sich quer durch die Gesellschaft. Männer scheinen allerdings ein wenig anfälliger zu sein als Frauen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Krisen einen verstärkenden Effekt haben können. Der Glaube an einen großen Plan kann Menschen das Gefühl von Halt geben.

Ist der jetzige Verschwörungsboom ein Phänomen des Internets?
Während der NS-Zeit waren antisemitische Verschwörungsmythen zentraler Teil der Propaganda. Das wurde sogar in Schulen gelehrt. Dem Internet die Schuld an der Verbreitung zuzuschieben, wäre zu kurz gegriffen. Natürlich nutzen Verschwörungsideologen Plattformen wie Facebook, Instagram, YouTube oder Telegram. Aber auf eben diesen Plattformen gibt es auch zahlreiche Accounts, die Aufklärung über die Gefahren von Verschwörungsmythen betreiben. Es gibt übrigens auch klassische Medien, die Verschwörungsideologen eine Plattform bieten. So einfach ist das eben nicht.

Wer pauschal unterstellt, Wahlen würden gefälscht, macht von seinem Wahlrecht irgendwann nicht mehr Gebrauch.
Katharina Nocun

Mit dem Glauben an Verschwörungsmythen schwindet auch das Vertrauen in Institutionen und seriöse Medien. Gefährdet das die Demokratie?
Wer pauschal unterstellt, alle Wahlen würden gefälscht, macht von seinem Wahlrecht irgendwann nicht mehr Gebrauch. Es ist in einer Demokratie normal, dass wir über unterschiedliche Meinungen streiten. Wenn aber Gruppen sich eigene Fakten ausdenken, dann gefährdet das unsere Fähigkeit, gute Lösungen für dringliche Probleme zu finden. Das gilt nicht nur für die Pandemie. Wer die Beweise für den menschengemachten Klimawandel ignoriert, wird keine Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes ergreifen. Wer aufgrund von Verschwörungserzählungen das Vertrauen in seriöse Medien verliert, informiert sich infolgedessen vielleicht bei Betrügern. Studien zeigen, dass der Verschwörungsglaube auch mit einer stärkeren Befürwortung von Gewalt zusammenhängt. Zahlreiche rechtsextreme Attentäter haben an Verschwörungserzählungen geglaubt und sich dadurch radikalisiert.

Und was kann man dagegen machen?
Menschen sind weniger anfällig für den Glauben an Verschwörungen, wenn sie vorab über die Strategien von Verschwörungsideologen aufgeklärt und dafür sensibilisiert worden sind. Derartige Aufklärungsprogramme gehören dringend auf den Lehrplan in Schulen. Es braucht aber auch mehr Unterstützung für Angehörige und Freunde von Menschen, die dem Sog von Verschwörungsnarrativen erliegen. Das direkte Umfeld hat oft die größten Chancen noch durchzudringen, viele fühlen sich aber überfordert. Hier braucht es eine Stärkung existierender Beratungsangebote, aber auch neue Angebote.

Interview: Martin Orth

© www.deutschland.de

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