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„Ich lernte, Verantwortung zu übernehmen“

Ryyan Alshebl flüchtete 2015 von Syrien nach Deutschland. 2023 wurde er Bürgermeister eines kleinen Ortes in Baden-Württemberg.

Kim BergKim Berg, 11.05.2023
Ryyan Alshebl wurde in Ostelsheim zum Bürgermeister gewählt.
Ryyan Alshebl wurde in Ostelsheim zum Bürgermeister gewählt. © picture alliance/dpa

Im Jahr 2015 floh Ryyan Alshebl vor dem Bürgerkrieg in Syrien über den Libanon, die Türkei und Griechenland nach Deutschland. Anfang April 2023 wurde er zum Bürgermeister der baden-württembergischen Gemeinde Ostelsheim mit ihren rund 2.800 Einwohnerinnen und Einwohnern gewählt.

Herr Alshebl, wie haben Sie sich gefühlt, als Sie von Ihrer Wahl zum Bürgermeister erfuhren?

Dass ich wirklich Bürgermeister geworden bin, habe ich erst in den Tagen nach der Wahl realisiert, in denen ich von Glückwünschen und Interviewanfragen überflutet wurde. Ich dachte, nach dem Wahlkampf könnte ich mir erstmal eine Verschnaufpause gönnen, aber seit der Wahl habe ich keine einzige Pause mehr gehabt.

Über Ihre Wahl wurde weltweit berichtet. Haben Sie mit einem solchen Medienrummel gerechnet?

Mit dem internationalen Medienrummel habe weder ich noch mein Umfeld gerechnet. Wir haben geahnt, dass sich Medien im Fall eines Wahlsiegs für das Thema interessieren könnten, aber eher auf lokaler Ebene, innerhalb Baden-Württembergs. Doch schon am Abend meiner Wahl hatte ich über 60 Interviewanfragen von Medien weltweit, bis zum Ende der Woche waren es über 100.

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Sie mussten mit 21 Jahren aus Syrien flüchten. Wie sah Ihr Leben bis dahin aus?

In Syrien habe ich bei meinen Eltern gelebt und war von ihnen finanziell abhängig. Ich trug keine große Verantwortung, musste keine lebenswichtigen Entscheidungen treffen. Ich musste mir keine Gedanken darüber machen, was die Zukunft bringen könnte, und habe mich mit alltäglichen Sachen beschäftigt, wie zum Beispiel der Abendplanung mit meinen Freunden. Doch dann kam der Krieg und plötzlich gab es in meinem Land keine Perspektive mehr für mich.

Wie ging es weiter?

Viele meiner Freunde wollten Syrien verlassen, da sie sonst zum Militärdienst eingezogen worden wären. Niemand wollte sich für einen sinnlosen Krieg vom Regime verheizen lassen. Die einzige Möglichkeit bestand darin zu fliehen. Das war besonders schwer für meine Eltern. Sie mussten in Kauf nehmen, dass sie ihren Sohn auf eine Reise schicken, die tödlich enden kann. Gleichzeitig wussten sie natürlich, dass es keine Alternative für mich gab.

Wie hat die Flucht Sie verändert?

Mit der Flucht veränderte sich meine Persönlichkeit. Ich lernte, Verantwortung zu übernehmen – für mich und auch für andere.

Wie haben Sie sich in den ersten Monaten in Deutschland zurechtgefunden und was waren die größten Herausforderungen für Sie?

Die ersten Monate waren für mich mit Abstand am spannendsten, weil ich jeden Tag etwas Neues entdeckt habe. Andererseits habe ich ohne Privatsphäre gelebt. Zuerst wohnte ich in einer Sammelunterkunft, danach wurde ich einer Gemeinschaftsunterkunft zugeteilt. Dort war ich mehrere Monate in einem Zimmer mit sechs weiteren Personen untergebracht.

Wenn man sich in der Politik eines Landes engagiert, lernt man auch eine Menge über das Land selbst.
Ryyan Alshebl

Wieso haben Sie angefangen, sich in der Politik zu engagieren?

Das Interesse an Politik war grundsätzlich da. Ich glaube, wenn man sich in der Politik eines Landes engagiert, lernt man auch eine Menge über das Land selbst. 2016 habe ich mich für ein Praktikum in der Kommunalverwaltung beworben und danach für einen Ausbildungsplatz als Verwaltungsfachangestellter. Das war erstmal gar nicht so einfach. Mein Chef schlug zunächst vor, lieber eine handwerkliche Ausbildung zu starten, da mein Deutsch noch nicht besonders gut war. Zum Glück bin ich handwerklich total unbegabt und habe ihn davon überzeugt, dass ich trotz der Sprachbarriere in der Verwaltung gut aufgehoben bin.

Wieso haben Sie sich entschieden, für das Amt des Bürgermeister zu kandidieren?

Das klingt vielleicht erstmal etwas seltsam, aber ich habe in keinem Fach eine ausgeprägte Begabung. Dafür bringe ich Vielseitigkeit mit. Das ist eine Eigenschaft, die man als Bürgermeister unbedingt benötigt. Bürgermeister sind keine Fachspezialisten, sondern müssen zwischen Politikern und Bürgern vermitteln.

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