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Sprachpraxis ist häufig geschlechtergerecht

Geschlechtergerechte Sprache polarisiert. Warum man darüber aber nicht streiten müsste, erklärt Linguistin Carolin Müller-Spitzer.

Sarah KanningInterview: Sarah Kanning , 04.03.2023
Gendern
© Rawpixel.com/AdobeStock

Frau Müller-Spitzer, Sie forschen zu Genderlinguistik. Wo steht Deutschland in Hinblick auf eine geschlechtergerechte Sprache?
Wir müssen unterscheiden zwischen dem Stand der Sprachpraxis und dem Stand in der gesellschaftlichen Debatte. In der Sprachpraxis scheinen wir in vielen Bereichen der geschlechtergerechten Sprache schon einen Konsens gefunden zu haben. Dreh- und Angelpunkt ist das sogenannte generische Maskulinum, dass also gemischte Personengruppen nur mit der grammatisch maskulinen Pluralform bezeichnet werden. Es gibt unterschiedliche Strategien, das auszugleichen: Die Doppelformen, also beispielsweise „die Schülerinnen und Schüler“, sind sehr etabliert und auch schon ganz lange im Sprachgebrauch, gerade in der Anrede. Auch die sogenannte Neutralisierung, also geschlechtsneutrale Begriffe wie „die Lehrkräfte“, fällt vielen oft gar nicht auf. Denkt man an Begriffe wie „Gendersprache“, geht es eigentlich immer um die dritte Form, das Gendern mit Genderzeichen wie Sternchen oder Doppelpunkt (Schüler*innen, Schüler:innen) in der geschriebenen oder Sprechpause in der gesprochenen Sprache. Denn das ist relativ neu.  

Carolin Müller-Spitzer forscht zu geschlechtergerechter Sprache.
Carolin Müller-Spitzer forscht zu geschlechtergerechter Sprache. © privat
Wir benutzen schon ganz viel geschlechtergerechte Sprache. Das fällt vielen oft gar nicht auf.
Linguistin Carolin Müller-Spitzer

Und um diese dritte Form dreht sich die Debatte.
Ja, und sie ist geprägt von Pro und Contra. Dabei müsste man sich nicht so polarisiert streiten. Wir benutzen ohnehin schon ganz viel geschlechtergerechte Sprache, einfach, weil wir seit der Frauenbewegung in den 1970-Jahren eine zunehmend andere Rollenverteilung in der Gesellschaft sehen. Frauen haben mehr Rechte, Frauen üben mehr Rollen aus, und dies hat sich in sprachlichen Diskussionen und Veränderungen niedergeschlagen. Und damit sind wir in einen absolut internationalen Trend eingebettet. Wir merken das im Englischen, aber auch im Schwedischen, Norwegischen oder im Spanischen.  

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Welche Schritte können etwas verändern?
Es ist nicht ganz einfach, den Zusammenhang zwischen Sprache und Welt genau zu fassen. Aber Sprache kann als eine Denkunterstützung und auch eine Denkschablone gesehen werden. Wenn ich Sprache modifiziere, kann ich letztlich vielleicht auch Denkstrategien prägen. Wir wissen beispielsweise, dass der Begriff „Quotenfrau“ ein total falsches Bild erzeugt, als hätten Frauen einen Posten nicht verdient. Alle empirischen Untersuchungen zeigen, dass die Quote eher mittelmäßige Männer aussortiert als dass sie schlecht qualifizierte Frauen nach oben bringt. Wir wissen auch, dass Mädchen sich eher angesprochen fühlen, wenn man sie fragt, ob sie Ärztin oder Anwältin werden möchten, als wenn die Frage nur mit der männlichen Form gestellt wird. Die Sprachform baut ihnen eine Brücke – und warum sollten wir ihnen diese nicht ermöglichen?  

Warum ist es wichtig, sich einer geschlechtergerechten Sprache bewusst zu sein?
Es ist wichtig, sich den gesellschaftlichen Zweck immer wieder klar zu machen. Es geht darum, dass wir eine möglichst freie, inklusive Gesellschaft wollen und dass unsere Kinder auch möglichst nicht mit zu festgelegten geschlechtsspezifischen Rollenklischees aufwachsen. Sprache kann dazu beitragen. Das erscheint vielleicht zunächst mühsam, aber es ist kostenlos und es gibt vielfältige gute Strategien. 

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Carolin Müller-Spitzer ist Professorin für Linguistik an der Universität Mannheim und Programmbereichsleiterin am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache. 

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