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„Earth Speakr“ lässt Kinder sprechen

Außenminister Maas hat den dänisch-isländischen Künstler Olafur Eliasson mit einem Werk zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft betraut.

Till Briegleb, 26.06.2020
Olafur Elliasson
Olafur Elliasson © picture alliance/KEYSTONE

Olafur Eliasson ist ein Künstler, aus dem immer auch das Kind spricht. Er installierte riesige Wasserfälle unter New Yorks Brücken und animierte Menschen mit Lichtbrechungen dazu, ihre bunten Schatten auf einer Wand herumtanzen zu lassen. Die Tropfen eines spritzenden Wasserschlauchs ließ er mit Stroboskoplicht zu leuchtenden Skulpturen erstarren. Mit einer riesigen Sonnenscheibe verwandelte er die Turbinenhalle der Galerie Tate Modern in London in nicht endende Abendstimmung. Die kindliche Lust an Spiel und Staunen, an Witz und Fantasie, die über die Grenzen des Vernünftigen hinausweisen, steckt eigentlich in allen Projekten des dänisch-isländischen, in Berlin lebenden Künstlers, die er in den vergangenen 25 Jahren umgesetzt hat.

„Symbiotic seeing“ in Zürich.
„Symbiotic seeing“ in Zürich. © picture alliance/KEYSTONE

Und deswegen besitzt es eine große Logik, dass Eliasson auf die Einladung des Auswärtigen Amts, ein Kunstprojekt zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu entwickeln, eine Plattform für Kinder und Jugendliche schuf. „Mich interessiert seit ein paar Jahren, wer die Leute sind, denen nicht zugehört wird. Und das sind zum Beispiel die Kinder“, sagt Eliasson über sein „dezentrales Kunstwerk“ mit dem Titel „Earth Speakr“. Eliasson hat deshalb eine App entwickelt, die jungen Menschen eine mediale Stimme gibt – indem sie ihre Stimme jemand anderem leihen.

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Wie in den besten seiner vorherigen Arbeiten ist das Prinzip von „Earth Speakr“ sehr einfach, aber der Effekt verblüffend. Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 17 Jahren können mit der App auf ihrem Smartphone eine Botschaft aufnehmen, die in eine grafische Mimik auf dem Display verwandelt wird. Die aufgenommene Aussage kann dann auf ein Objekt aus ihrer unmittelbaren Umgebung übertragen werden. Dabei verschmilzt das digitale Gesicht mit dem Hintergrund und lässt das Objekt die zuvor aufgenommenen Worte sagen. So kann sich beispielsweise ein Baum über die Luftverschmutzung beschweren, ein Kotelett in der Pfanne schreien oder ein Auto brüllen. Ebenso kann ein Hund ein Liebesgedicht vortragen, eine Erdbeere rülpsen oder ein Fußball über den FC Bayern München schimpfen.

Das Thema von Earth Speakr sind die großen Umweltfragen
Olafur Eliasson, Künstler

„Das Thema von Earth Speakr sind die großen Umweltfragen“, erklärt Eliasson die grundsätzliche Absicht des Projekts. „Aber wir wollen den Kindern auf keinen Fall moralisch vorgeben, was sie zu sagen haben.“ Deshalb ist der inhaltliche Rahmen dieser Augmented-Reality-Anwendung nur grob abgesteckt, die Freiheit grenzenlos. Eliasson vertraut darauf, dass die jungen Nutzer die Absicht des Projekts verstehen und „Earth Speakr“ nicht in einen Internet-Gimmick für Scherze und Schminktipps verwandeln. „Kinder und Jugendliche wissen sehr wohl, was mit der Welt los ist.“

Nach einer achtmonatigen Testphase in vielen europäischen Ländern, die Eliassons Team zusammen mit Fachleuten der Kinderpsychologie und  aus anderen Bereichen durchgeführt hat, ist der Künstler sich sicher, dass die kleinen Filme, die auf der Plattform gesammelt werden, eine eindrückliche Botschaft an die „Entscheidungseliten in Klimafragen“ senden können. „Weil die Resultate der App oft so surreal und skurril sind, kann man sich damit viel länger beschäftigen, als wenn es eine einfache politische Parole wäre.“ Und weil es die App in 25 Sprachen gibt, wird es am Ende ein wirklich europäischer Chor der sprechenden Dinge sein, der seine Ansichten über dringenden Handlungsbedarf bei politischen Richtungsentscheidungen ausdrücken darf.

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„Es wäre von großer Bedeutung, wenn Entscheiderinnen und Entscheider auf den Rat der Kinder hören“, sagt Eliasson. Nicht zuletzt, weil Kinder „Expertinnen und Experten für Hoffnung“ seien. Deswegen erwartet der Künstler auch nicht, dass „Earth Speakr“ eine „Angstplattform“ wird. Obwohl die Bedrohungen für die Zukunft der Kinder, verursacht durch den Glauben der Erwachsenen an ewiges Wirtschaftswachstum, täglich größer werden, erhofft sich Eliasson von den Mädchen und Jungen einen produktiven Anstoß. „Für ihre hohe Imaginationskraft und das Spielerische, das sie besitzen, schaffe ich eine Plattform, auf der sie ihre Sorgen und Ideen äußern können.“

„Your spiral view“ in London
„Your spiral view“ in London © picture alliance / Photoshot

Deswegen sieht Eliasson sich auch nur als „halber Künstler“ an dem Projekt zur EU-Ratspräsidentschaft beteiligt. Die andere Hälfte des Kunstwerkes erschaffen die Kinder und Jugendlichen. Und diese Inhalte besitzt anschließend auch nicht der Erfinder der App. „Die Inhalte, die von den Kindern erstellt werden, gehören weiterhin den Kindern“, sagt Eliasson. Er verweist auch darauf, dass für „Earth Speakr“, das in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt und dem Goethe-Institut entstand, die höchsten Datenschutzbestimmungen gelten.

„Wir brauchen eine allgemeine Bewegung dahingehend, dass auf die Kinder gehört wird – nicht nur in der Politik, sondern bei allen Entscheiderinnen und Entscheidern in der Gesellschaft und der Wirtschaft“, sagt Eliasson. Trotzdem will er nicht prophezeien, was seine jungen Nutzerinnen und Nutzer mit der App tatsächlich machen werden. „Das hat einen großen Grad von Unvorhersehbarkeit. Aber das ist eben typisch für Kunst.“ Er selbst freut sich wie ein Kind auf das Ergebnis.

Treppe in München
Treppe in München © picture alliance / Martha Feustel

Wer ist Olafur Elliason?

Geboren 1967 in Dänemark und aufgewachsen in Island, kam Olafur Eliasson schon während seines Kunststudiums in Kopenhagen in Kontakt mit Vertretern der deutschen Kunst­szene. 1995 zog er nach Berlin und gründete das Studio Olafur Eliasson. Ein Team von Expertinnen und Ex­perten aus Architektur, Handwerk und ­Digitalem unterstützt ihn bei der ­Realisierung seiner Projekte. Als Professor an der Universität der Künste (UdK) leitete Eliasson von 2009 bis 2014 das Institut für Raumexperimente. Er ist auch Gründer des Sozial­unternehmens „Little Sun“, das solarbetriebene ­Lampen für Menschen in Regionen ohne Stromversorgung herstellt.

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