Ausbildung zum Imam in Deutschland
Seit 2021 bildet das Islamkolleg Imame in Deutschland aus – und fördert so die Integration von Muslimen.
2023 haben die ersten deutschen Imame ihre Ausbildung am Islamkolleg in Osnabrück abgeschlossen. Das 2019 gegründete Kolleg ist das erste seiner Art in Deutschland. Nie zuvor wurden Imame in Deutschland in deutscher Sprache ausgebildet. Im Rahmen des zweijährigen Lehrgangs Ausbildung werden Imame und Seelsorger für ihren Einsatz in deutschen muslimischen Gemeinden geschult.
Seit 2020 arbeitet Murat Caglayan am Kolleg als Dozent für politische Bildung. In seinen Seminaren klärt der Historiker die angehenden Imame über das deutsche politische System und gesellschaftliche Teilhabe auf.
Herr Caglayan, das Islamkolleg spielt eine wichtige Rolle in der Ausbildung von Imamen und islamischen Gelehrten in Deutschland. Wie sehen Sie die Bedeutung dieser Institution für die Integration des Islams in die deutsche Gesellschaft?
Ich glaube, dass das Islamkolleg eine sehr wichtige Funktion für die Zukunft der Muslime in Deutschland hat. Es ist eine Form der Organisation, die längst überfällig war. Muslime, die hier aufgewachsen sind und hier sozialisiert wurden, möchten, dass auch das religiöse Personal aus Deutschland kommt. Wir möchten Imame ausbilden, die hier geboren und aufgewachsen sind, die die deutsche Kultur und Gesellschaft kennen und Deutsch sprechen.
Wie sind die Reaktionen?
Das Feedback ist überwiegend positiv. Gegenwärtig haben wir die dritte Generation an Imamen, die wir am Islamkolleg ausbilden. Das sind junge Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen und mit Migrationsgeschichten aus verschiedenen Ländern. Mit dem Islamkolleg schaffen wir Neues, indem wir diese unterschiedlichen kulturellen und religiösen Auffassungen innerhalb der muslimischen Community zusammenbringen und verschmelzen.
Wie unterstützt das Islamkolleg Muslime dabei, sich politisch, gesellschaftlich und religiös in Deutschland einzubringen?
Unser Ziel ist es, dass Imame ihre Aufgaben in den Gemeinden in ganz Deutschland besser wahrnehmen können. Dazu gehört, dass sie Deutsch sprechen und Kultur, Land und Leute gut kennen. Nur so können sie auf die unterschiedlichen Themen in ihren Gemeinden eingehen.
Dabei stehen die Imame nicht nur im Dialog mit ihren Gemeindemitgliedern, sondern auch mit Bürgermeistern und anderen religiösen Gemeinden. Dazu brauchen sie verschiedene Kompetenzen, die sie befähigen, mit unterschiedlichen Lebensmustern umzugehen. Diese Kompetenzen erlernen sie in unserer Ausbildung.
Wie sieht die Ausbildung zum Imam aus?
Um die Ausbildung starten zu können, müssen Bewerber einen Bachelor in Islamischer Theologie oder einem gleichwertigen Studiengang vorweisen. Die Ausbildung am Islamkolleg dauert zwei Jahre. Zweimal im Monat finden Unterrichtseinheiten am Wochenende statt – meistens hybrid, also in Präsenz und über das Internet. In unseren Seminaren vermitteln wir koranische Kompetenzen und befähigen die angehenden Imame zur gesellschaftlichen Teilhabe.
In meinem Studienfach, der politischen Bildung, geht es beispielsweise um gesellschaftliche Teilhabe. Ich bilde die angehenden Imame darin aus, sich mit unterschiedlichen Themen angemessen beschäftigen zu können. Ich erkläre ihnen zum Beispiel, welche Quellen zur Meinungsbildung vertrauenswürdig sind, um sich bei bestimmten Themen positionieren zu können.
Wie bewerten Sie die Bedeutung des interreligiösen Dialogs für das Zusammenleben in Deutschland, und wie können wir diesen Dialog stärken?
Für mich ist es wichtig, dass Menschen sich mit anderen theologischen Perspektiven auseinandersetzen. So lernen sie mit unterschiedlichen ideologischen Positionierungen umzugehen und andere Meinungen zu respektieren. Anhänger unterschiedlicher Religionen sollten mehr miteinander sprechen und Friedenskulturen schaffen als übereinander zu sprechen und Hasskulturen zu pflegen.
Vor allem der muslimisch-christliche Dialog ist in Deutschland sehr fortgeschritten. Der muslimisch-jüdische Dialog steckt oft noch in den Kinderschuhen. Darauf liegt unser Hauptaugenmerk. Am Islamkolleg haben wir deshalb auch einen jüdischen Dozenten, den Rabbiner Gabor Lengyel.
Wodurch entstehen Hasskulturen und wie kann man ihnen begegnen?
Viele Formen von Hasskulturen haben die Grundlage, dass man nicht bereit ist sich mit unterschiedlichen Lebensformen, Ideen und Geschichten auseinanderzusetzen – sei es theologisch, politisch oder gesellschaftlich. Offene Menschen sollten dazu in der Lage sein, nicht nur den eigenen Ideen positiv gegenüberzustehen und die eigenen Interessen zu vertreten, sondern auch andere Meinungen zu respektieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Wenn man das kann, dann hat man eine sehr gute Basis, um Hasskulturen zu verhindern.
Wie sieht die Zukunft des Islams in Deutschland aus? Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie?
Viele Menschen, die in Deutschland leben, haben Vorurteile gegen Muslime, weil sie nur wenig oder keinen Kontakt zu ihnen haben. Deshalb sollten Muslime viel öfter ins Gespräch mit anderen Menschen treten, um diese Vorurteile abzubauen. Außerdem sollten sich Muslime selbstkritischer mit eigenen Fehlpositionierungen auseinandersetzen.
Als Schmelztiegel für unterschiedliche muslimische Auffassungen leisten wir am Islamkolleg einen wertvollen Beitrag, um Muslime dazu zu animieren, stärker am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzunehmen. Mit der Ausbildung muslimischen Lehrpersonals in Deutschland schreitet die Integration auf professioneller Ebene weiter voran. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.