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„Eine große Leistung, über die wir mehr reden sollten“

Die Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland über Familien, die nach der Einheit neu anfangen mussten – und über das Glück, in einem freien Land zu leben. 

24.09.2025
Elisabeth Kaiser, Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland
Elisabeth Kaiser, Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland © picture alliance/dpa

Frau Kaiser, wie blicken Sie zum 35. Jahrestag auf den Stand der deutschen Einheit – was wurde erreicht, welche Herausforderungen bleiben?
Ostdeutschland hat sich in den vergangenen 35 Jahren deutlich positiver entwickelt, als oft behauptet wird. Das zeigt sich zum Beispiel an der Entwicklung der Wirtschaft, der Infrastruktur, aber auch an Verbesserungen im Umweltbereich, wie saubere Flüsse und schöne Nationalparks. Trotzdem bleiben strukturelle Unterschiede: Ostdeutsche haben weniger Einkommen und Vermögen und bekleiden weniger Führungspositionen. Auch gibt es viel weniger Konzerne mit Hauptsitz im Osten. Etwa zwei Drittel der Ostdeutschen haben das Gefühl, dass Ostdeutsche als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Das trifft für Westdeutsche in benachteiligten Regionen nicht zu und muss von uns besonders adressiert werden. Es bleibt also einiges zu tun. Aber das Glas ist halbvoll. 

Für viele Familien waren die Umbrüche sehr hart, auch für meine.
Elisabeth Kaiser, Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland

Sie sind 1987 in der damaligen DDR geboren. Was verbinden Sie persönlich mit der deutschen Einheit?
Um die Wiedervereinigung 1990 bewusst zu erleben, war ich natürlich zu jung. Aber ich habe gemerkt, dass sich etwas verändert hat, vor allem durch die Gespräche meiner Eltern. Ich bin in einem freien Land aufgewachsen und hatte viele Chancen, die zum Beispiel meine Eltern nicht hatten. Ich habe Auslandsaufenthalte absolviert und konnte in Frankreich studieren. Für viele Familien waren die Umbrüche nach der Wiedervereinigung sehr hart, auch für meine. Die meisten haben es geschafft, sich selbst wieder etwas aufzubauen. Das war eine große Leistung, über die wir mehr reden sollten. Mir zeigt diese Entwicklung, welches Glück es ist, dass wir in einem freien Land leben dürfen. Das ist nicht selbstverständlich.

Ich setze mich für eine starke Wirtschaft ein.
Elisabeth Kaiser, Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland

Welche Aufgaben haben Sie als Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, welche Schwerpunkte wollen Sie setzen?
Meine Aufgabe ist es, die Interessen Ostdeutschlands bei allen Entscheidungen der Bundesregierung mit Nachdruck zu vertreten, und der Region mit ihren Menschen nicht nur am Kabinettstisch eine starke Stimme zu verleihen. Dabei verstehe ich mich als Brückenbauerin. Ich will Regionen in Ost und West mit ähnlichen strukturellen Herausforderungen in den Austausch bringen, um gemeinsam Schwierigkeiten zu meistern und von den Erfahrungen der anderen zu lernen. Ich setze mich für eine starke Wirtschaft ein und für neue Firmenansiedlungen. Und mir ist die Zivilgesellschaft ein Anliegen: Wir müssen den Fokus auf das Engagement der vielen Menschen lenken, die sich vor Ort für die Gemeinschaft einsetzen. Sie sind der Kitt unserer Gesellschaft und die Basis der Demokratie.   

Elisabeth Kaiser wurde 1987 in Gera in Thüringen geboren. Seit 2017 ist sie Mitglied des Bundestages und seit Mai 2025 Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland.