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Die gesunde Stadt

Wie sollte eine Stadt aussehen, in der sich Menschen wohl fühlen? Das erklärt der Neurourbanist Mazda Adli.

Kim Berg, 02.10.2020
In Berlin laden Straßen zum Verweilen ein.
In Berlin laden Straßen zum Verweilen ein. © picture alliance / dpa-tmn

2050 leben laut UN etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. Doch noch viel zu oft verursachen Städte Stress, Angst oder Depressionen. Professor Mazda Adli, Psychiater, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité - Universitätsmedizin Berlin erklärt, wie eine gesunde Stadt aussehen sollte. Gemeinsam mit der Alfred Herrhausen Gesellschaft hat er das Forschungsfeld Neurourbanistik ins Leben gerufen.

Herr Adli, was macht eigentlich ein Neurourbanist?

Neurourbanistik beschreibt einen Schulterschluss zwischen Stadt- und Gesundheitsforschung. Wir wollen verstehen, wie sich das Stadtleben auf unsere Psyche und unsere Emotionen auswirkt und wie wir Städte gestalten sollten, sodass sie die psychische Gesundheit fördern.

Dazu haben wir 2015 das Interdisziplinäre Forum Neurourbanistik in Berlin gegründet. Es verbindet Wissenschaftler mehrerer Universitäten. Das ist bisher einzigartig auf der Welt. Natürlich gibt es auch andere Forschende, die sich mit der Gesundheit von Stadtbewohnern beschäftigen. Aber eine solch breit aufgestellte Zusammensetzung aus unterschiedlichsten Disziplinen der Stadtforschung, Medizin, Neurowissenschaften und Psychologie ist neu.

Neurourbanist Mazda Adli
Neurourbanist Mazda Adli
Es gibt nicht die ideale Stadt. Eine Stadt tut uns gut, wenn sie uns zur Teilhabe animiert.
Mazda Adli

Wie wirken sich Städte auf den Menschen aus?

Das Aufwachsen und Leben in einer Stadt geht mit einem höheren Risiko für stressabhängige psychische Krankheiten einher. Städter haben zum Beispiel ein 1,5-fach erhöhtes Risiko für Depressionen gegenüber Landbewohnern. Der Grund dafür ist nicht richtig erforscht. Wir gehen aber davon aus, dass sozialer Stress eine wesentliche Ursache dafür ist. Weitere Umwelteinflüsse wie Feinstaub oder Lärm können sich zusätzlich negativ auswirken. Hier gibt es noch viel Forschungsbedarf.

Dennoch gilt: Das Leben in der Stadt hat auch erhebliche Vorteile. Man hat bessere Entwicklungs- und Entfaltungsperspektiven als auf dem Land. Außerdem sind Städte die kulturellen und politischen Zentren in fast jedem Land. Deshalb haftet der Stadt etwas Ambivalentes an, auf das wir aufmerksam machen wollen.

Wie können wir dem Stress entgegenwirken?

Sozialer Stress ist derjenige Stress, der aus dem Zusammenleben und der Interaktion zwischen  Menschen entsteht. Soziale Dichte und soziale Isolation spielen nach unserer Auffassung in der Stadt als soziale Stressoren eine besondere Rolle. Zum Beispiel, wenn als unkontrollierbar erlebte Enge und Einsamkeit oder fehlendes Zugehörigkeitsgefühl aufeinandertreffen. Dann wird die Mischung toxisch.

Deshalb sollten Stadtplaner dafür sorgen, dass es genügend öffentliche Räume gibt, die das soziale Miteinander fördern. Dazu gehören Plätze und Grünflächen genauso wie Theater oder andere Kultureinrichtungen. Das sind Orte, in denen Menschen miteinander in Kontakt kommen und soziale Kohäsion entsteht. Sie wirken sozialer Isolation entgegen und sind daher Orte, die einen Public-Health-Auftrag haben. Sozialer Dichte können wir entgegenwirken, indem wir zum Beispiel beim Wohnungsbau auf Qualität achten. Der eigene Wohnraum sollte vor Umgebungslärm schützen und jedem die Möglichkeit bieten, sich der Betriebsamkeit der Stadt, wenn nötig, zu entziehen.

Wie sieht für Sie die Stadt der Zukunft aus?

Es gibt nicht die ideale Stadt. Eine Stadt tut uns gut, wenn sie uns zur Teilhabe animiert und das Gefühl von Zugehörigkeit stimuliert. Urbane Räume tun das dann, wenn nicht alles funktional durchgestaltet ist, sondern wenn sie dem einzelnen Menschen die Möglichkeit bieten, sie den eigenen Bedürfnissen entsprechend mitzugestalten. Anders ausgedrückt: Städte sollten in gewisser Weise unfertig sein, um uns gut zu tun. Das heißt, Teilhabe und Zugehörigkeit entstehen auch dann, wenn man Anlass hat, vor die eigene Haustüre zu treten. Dafür braucht es zum Beispiel in einer Straße einen guten Wechsel zwischen Stimulation und Entspannung. Wenn wir durch unser Wohnviertel laufen, sollte es sowohl Ruheoasen geben als auch Orte, die uns anregen, wie Märkte, Cafés oder Einkaufsstraßen. Dazu kommt: Die Stadt muss zu ihren Bewohnern passen. Jede Stadt hat einen eigenen Bevölkerungsmix und damit auch eine ihre eigene Mentalität. Das sollte sich in der Stadtplanung widerspiegeln.

Welche Stadt in Deutschland würden Sie als gesund bezeichnen?

Berlin macht vieles instinktiv richtig. Es gibt breite Straßen, die zum Verweilen einladen. Berliner Straßen und Bürgersteige sind oft Begegnungsorte und nicht nur Transiträume. Das wirkt sozialer Isolation entgegen. Außerdem gibt es viele Grünflächen, die unserer psychischen Gesundheit gut tun, sodass wir Stress besser verarbeiten können. Dazu kommt der kulturelle Reichtum, der von vielen Menschen genutzt wird. Aus neuro-urbanistischer Perspektive läuft in Berlin vieles richtig.

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