Miss Wasserstoff
Ulrike Beyer vom Fraunhofer IWU in Chemnitz will die Wasserstoffsysteme der Zukunft massentauglich, kostengünstig und robust produzieren.
Sie wollen einen Beitrag zur Energiewende leisten, um der Klimakrise entgegenzutreten: Wir stellen Menschen vor, die mit ihren Ideen und ihrem Engagement den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland und weltweit vorantreiben.
„Ich sage immer: Es gibt viele Bausteine und Lösungen, die wir für eine erfolgreiche Energiewende brauchen. Der Weg ist also bunt, aber das gemeinsame Ziel ist grün“, erklärt Ulrike Beyer. Währenddessen nimmt die Ingenieurin eine metallische Bipolar-Platte in die Hand, die gerade zwischen zwei gegenläufig rotierenden Walzen hindurch gelaufen ist. Die Leiterin der Referenzfabrik.H2 am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz steht in einer Produktionshalle. Um sie herum drei Meter hohe mechanische Pressen, industrielle 3D-Drucker, Walzen, Schwerlastroboter. Ulrike Beyers Ziel: die Wasserstoffsysteme der Zukunft klimaneutral, kostengünstig und robust zu produzieren.
Die Energiewende ist in vollem Gange und Grüner Wasserstoff spielt dabei eine immer wichtigere Rolle. Der vielfältig einsetzbare Energieträger gilt als ein zentraler Baustein, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Doch wie wird Grüner Wasserstoff hergestellt und wie kann er eingesetzt werden? Die promovierte Ingenieurin Beyer hat dazu ein paar Ideen: „Wasserstoff ist sozusagen der gute Kumpel der erneuerbaren Energien.“ Durch Wasserstoff lasse sich regenerative Energie haltbar machen und transportieren. „Das ist wie beim Käse, durch den frische Milch haltbar wird.“ Es gäbe Gebiete in Deutschland und der Welt, die dafür prädestiniert seien, erneuerbare Energien zu gewinnen: aus Wind, Sonne, Wasser. Doch oft decken sich diese Regionen nicht mit denen, die die Energie in großen Mengen benötigen. „Durch Wasserstoff bringen wir Energie dahin, wo wir sie brauchen.“
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Was versteht man unter Grünem Wasserstoff?
- Grün, Blau, Grau, Türkis: Obwohl Wasserstoff stets ein farbloses Gas ist, geben Farben in der Bezeichnung Auskunft über die Art seiner Erzeugung.
- Grüner Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Dafür wird Strom aus erneuerbaren Energiequellen verwendet. Grüner Wasserstoff ist deshalb CO2-frei.
- Als Elektrolyseur wird eine Vorrichtung bezeichnet, in der mithilfe elektrischen Stromes eine chemische Reaktion herbeigeführt wird.
- Die Rückverstromung von Wasserstoff geschieht in einer Brennstoffzelle. In einer Brennstoffzelle wird Wasserstoff mit Sauerstoff zu Wasser umgesetzt und dabei Energie generiert.
- Gestapelt zu sogenannten Stacks bilden Bipolar-Platten das Herz einer Brennstoffzelle und eines Elektrolyseurs.
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Beyer und ihre Kolleginnen und Kollegen am Fraunhofer IWU wollen die Herstellung von Wasserstoffsystemen auf ein neues Level der industriellen Massenfertigung führen. Die deutsche Bundesregierung unterstützt das Vorhaben im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie. Ziel ist es, die Produktion und Nutzung von Wasserstoffsystemen als wichtigen Eckpfeiler der deutschen Wirtschaft zu etablieren und somit die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft voran zu bringen.
Ein entscheidender Schritt sind dabei unter anderem neue Fertigungstechniken für Bipolar-Platten –sie sind ein wesentlicher Bestandteil einer Brennstoffzelle. Nach wie vor werden diese überwiegend nicht in industrieller Großserie hergestellt. „Aktuell entstehen sie noch unter Manufaktur-Bedingungen. Das macht die Brennstoffzellen teuer und verhindert ihren breiten Einsatz, zum Beispiel in Fahrzeugen oder in Gebäuden“, erklärt Beyer, die jetzt neben einem Brennstoffzellensystem steht und zeigt, wo darin der Stack mit dem Bipolar-Platten verbaut sind. „Wir können hier schon erste Erfolge bei der Kostenreduzierung verbuchen“, so Beyer. Am Fraunhofer IWU entstehen die Platten auch durch schnellere, effizientere Prozesse wie das Walzenprägen, durch das die Bipolar-Platten kostengünstiger und schneller produzieren werden können.
Referenzfabrik.H2: Baukasten für die Industrie
Durch die neuen massentauglichen Systeme könnte Wasserstoff nicht nur CO2-Emissionen senken, sondern auch zu einem nachhaltigen und zukunftsfähigen Geschäftsfeld für den Produktionsstandort Deutschland und viele Teile der Welt werden. Hier setzt das Projekt Referenzfabrik.H2 an. Entwickelt werden dafür gemeinsam mit der Industrie neue Technologien, Werkstoffen und Prüfmethoden, die eine Hochskalierung der Produktion und den Aufbau von Liefernetzwerken ermöglichen. „Mit der Referenzfabrik.H2 wollen wir die technologischen Bausteine schaffen und virtuell zusammenführen. Damit wollen wir Orientierung für eine Massenproduktion von Wasserstoffsystemen geben“, sagt Beyer. Die Referenzfabrik.H2 soll Anlauf- und Beratungsstelle für Unternehmen sein – vom großem Automobilhersteller bis zum industriellen Mittelstand. Fach- und Führungskräfte werden mit gebündeltem Knowhow aus den Fraunhofer-Instituten unterstützt.
Internationale Zusammenarbeit für mehr Akzeptanz von Grünem Wasserstoff
Beyer hält internationale Kooperationen in diesem Bereich des Grünen Wasserstoffs für essenziell. Denn nicht nur Deutschland erforsche seit Jahren intensiv die Möglichkeiten der Wasserstoffproduktion. „Je mehr wir Erfahrungen und Ergebnisse austauschen, desto schneller finden wir Lösungen.“ Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) fördert deshalb zwei große IWU-Projekte in Namibia und Südafrika. Durch den Austausch soll in den beiden Ländern vor allem auch Akzeptanz für den Einsatz von Wasserstoff entstehen und die Energieversorgung langfristig stabilisiert werden. „Zum Beispiel stellen wir in Namibia Modelle von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren aus und sprechen mit den Forschenden dort über länderspezifische Anforderungen und die vielen Möglichkeiten, die Wasserstoff bietet“, erklärt Mary Esther Ascheri, Gruppenleiterin und Verantwortliche für die Kooperationsprojekte Hydrogen & Oxygen Biotop (HygO) in Namibia und Hydrogen Tryout Areal (HyTrA) in Südafrika.
Die vielen Möglichkeiten – genau das ist es, was Ulrike Beyer motiviert. „Das Fraunhofer hat vor einigen Jahren ,Mr. oder Ms. Wasserstoff‘ gesucht. Jemanden, der sich dieses Themas annimmt und es vorantreibt. Ich habe nicht lange gezögert“, erzählt die Ingenieurin. „Heute sind technologische Entwicklungen oft so weit fortgeschritten, dass man als Forschende nur noch minimal nachjustieren kann.“ Aber Wasserstoff sei wie ein junger Baum, der eben erst gepflanzt wurde. „Man kann noch sehr viel mitgestalten, kann Prozesse formen, neue Wege finden. Das treibt mich an.“