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„Gehen Sie aufs Ganze“

Digitalisierung funktioniert nicht in kleinen Schritten, weiß der Experte Christoph Bornschein. So radikal müssen sich Unternehmen ändern.

19.07.2018
Digitalisierung erfordert neue Prozesse und Ideen
Digitalisierung erfordert neue Prozesse und Ideen © dpa

Christoph Bornschein ist Mitgründer einer Agentur für digitale Transformation mit dem Namen „Torben, Lucie und die gelbe Gefahr“ (TLGG) mit Sitz in Berlin und New York. Die Agentur berät Bundesministerien und Dax-Unternehmen bei der Digitalisierung.

Christoph Bornschein, Experte für Digitalisierung
Christoph Bornschein, Experte für Digitalisierung © dpa

Herr Bornschein, welcher digitale Trend begeistert Sie gerade?
Mehr als einzelne digitale Trends begeistert mich der neue Umgang mit digitalen Themen. Immer mehr traditionelle Unternehmen und Institutionen entdecken, dass ihnen ihre Tradition keinen Wettbewerbsvorteil mehr verschafft. Sie hinterfragen, welche Rolle sie in der digitalen Wirtschaft einnehmen wollen und reden seltener nur über Tools und punktuelle Veränderungen.

Sie haben mal gesagt, die deutsche Wirtschaft lebe von Geschäftsmodellen der Vergangenheit. Ist es wirklich so schlimm?
Einerseits: durchaus. Wir haben ein Jahrhundert lang frühe Innovationen zu Ende gedacht, optimiert, Handlungsreisendenprobleme gelöst. Der digitale Wandel wurde zu lange als nächste Optimierungsstufe verstanden, nicht als die umfassende Umwälzung von allem, die er darstellt. Dafür haben die wenigsten einen Plan oder auch nur eine Zielvision entwickelt. Andererseits: An immer mehr Stellen wird klar, dass es mehr braucht als die Digitalisierung althergebrachter Prozesse – nämlich ganz neue Prozesse, neue Ideen, neue Unternehmen.

Wandel braucht Spießer und Spinner.
Christoph Bornschein, Experte für Digitalisierung

Sie werden als Digitalisierungseinflüsterer bezeichnet. Wie müssten deutsche Unternehmen jetzt reagieren?
Die Winner-takes-it-all-Märkte, die sich in den meisten Branchen herausbilden, bedingen viele Verlierer. Isolierte Maßnahmen und Innovationsabteilungen reichen nicht. Gehen Sie aufs Ganze! Kleine Unternehmen müssen realisieren, dass sie kooperieren müssen. Viele der großen Umwälzungen vom Umbau der Wertschöpfungskette bis zur Branchenplattform sind im Kleinen nicht umsetzbar. Gehen Sie nicht allein!

Ihre Agentur TLGG behauptet, Wandel brauche Spießer und Spinner, Veränderung brauche Vernunft und Konfetti. Wie ist das zu verstehen?
Erfolgreicher Wandel entsteht in einem gesunden Verhältnis zwischen treibenden und beharrenden Kräften. Das Bewahrenswerte zu identifizieren und es grundlegende Veränderungen mitgestalten zu lassen, ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Beratungsarbeit. Diese Veränderungen wirksam und inklusiv zu gestalten, ist ein anderer.

Sie haben in Frage gestellt, ob eine Demokratie schnell genug auf Mega-Trends reagieren kann. Entscheidungen, die ein politisches Komitee durchdrückt, seien schneller. Entscheiden Herrschaftsformen über Erfolg?
Unterschiedliche Herrschaftsformen schaffen zunächst unterschiedliche Voraussetzungen für konkretes Handeln. Das Problem speziell unserer Demokratie ist, dass sie den Handlungsbedarf zwar erkannt, aber kaum Strategien oder auch nur Ziele formuliert hat. Sie würde lieber weiter den Status Quo optimieren. Aber das Zeitalter der Optimierungen haben wir weit hinter uns gelassen.

Interview: Martin Orth

© www.deutschland.de