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„Die Herausforderung unserer Zeit“

Warum ist es für junge Menschen die Vergangenheit wichtig? Lucas aus Brasilien erzählt von seinen Erfahrungen in Deutschland.

Protokoll: Sarah Kanning, 04.11.2020
Lucas Gualberto do Nascimento
Lucas Gualberto do Nascimento © privat

„Nach Deutschland bin ich vor allem gezogen, weil die Hochschulen so einen guten Ruf haben. Ich habe mich an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main eingeschrieben. Doch schon nach kurzer Zeit wurde mir bewusst, dass Deutschland viel mehr ist als ein toller Studienort. Ich erfuhr nach und nach mehr über das Land und die Menschen und entdeckte jeden Tag historische Orte oder Plätze, die in der Vergangenheit eine Rolle gespielt hatten. Im U-Bahnhof auf meinem Weg zur Uni hing eine große Fotogedenkwand für Anne Frank, die in dem Viertel als kleines Kind gelebt hatte, bevor ihre Eltern mit den beiden Töchtern vor den Nazis fliehen mussten. Ich las über Anne Franks Kindheit und vertiefte mich in ihre Geschichte, während andere Passanten einfach vorbeieilten. Aber für mich war diese Art der Erinnerungskultur neu.

In Brasilien ist der Zweite Weltkrieg nur ein Kapitel im Schulunterricht – wir haben keine emotionale Verbindung dazu. In Deutschland wurde mir bewusst: Der zweite Weltkrieg und der Holocaust sind tatsächlich passiert, das hier ist der Ort, das hier sind die Geschichten. Ich kann die Häuser ansehen, berühren, ich sehe die Relikte. Die Geschichte ist ein Teil des kollektiven Gedächtnisses, sie ist nicht verschwunden, sie atmet. Es sind nicht nur Worte in einem Buch, sondern ich kann sie emotional erfahren.

Wenn wir die Vergangenheit vergessen, riskieren wir, dass sich Geschichte wiederholt.
Lucas aus Brasilien

Überall in der Stadt entdeckte ich dann Stolpersteine, jeder erinnert an Menschen, die von den Nationalsozialsten verschleppt und fast immer auch getötet wurden. Es ist unglaublich wichtig, die Erinnerung lebendig zu halten. Wenn wir die Vergangenheit vergessen, riskieren wir, dass sich Geschichte wiederholt. Mein Land versucht, seine Geschichte zu verdrängen – dabei prägen Kolonialismus und Sklaverei unsere Gesellschaft bis heute. Erst 60 Jahre nach der Unabhängigkeit Brasiliens wurde die Sklaverei abgeschafft, es gibt kaum Museen, die sich mit dem Thema beschäftigen.

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Ich kann verstehen, wenn junge Menschen sich nicht mit den Themen der Vergangenheit beschäftigen möchten. Sie sind in einem ,neuen‘ Land geboren, sie haben keinen Krieg erlebt. Sie zu erreichen und ihnen den Wert der Geschichte zu vermitteln, das ist die wichtigste Herausforderung unserer Zeit.“

 


Lucas Gualberto do Nascimento aus Brasilien studierte 2018 in Frankfurt am Main. Momentan absolviert er in São Paulo einen Master in Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen und Entwicklung.

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